Einführung ins Erbrecht Teil 16: Die Zuwendung zu Lebzeiten des Erblassers

Es kommt im Alltag oft vor, dass Eltern oder Großeltern zu Lebzeiten ihren Kindern bzw. Enkelkindern enorme Zuwendungen zur Verfügung stellen. Dies kann in Form der Finanzierung eines Hausbaus oder der Berufsausbildung erfolgen. Die gutgemeinten Zuwendungen führen oftmals zu Benachteiligungen unter den Kindern bzw. Enkelkindern. Das Gesetz sieht daher in § 2050 BGB eine Ausgleichspflicht des Begünstigten gegenüber anderen, ihm gleichgestellten Erben vor.

Die Ausgleichspflicht gilt nur für gesetzliche Erben und dann auch nur für Abkömmlinge, d.h. für Kinder, Enkel und Urenkel. Sie umfasst Zuwendungen, die der Begünstigte zur Finanzierung einer Wohnung bzw. eines Hauses, dem Kauf eines Unternehmens, der Aussteuer im Falle einer Hochzeit und der Berufsausbildung erhalten hat. Nicht dazu zählen die typischen Schenkungen.

Praxistipp:
Im Falle der Schenkungen einer hohen Geldsumme ist den Eltern bzw. Großeltern zu raten, bei der Zuwendung zu bestimmen, ob die Geldsumme nach ihrem Tode ausgeglichen werden soll oder nicht. Es kann ein Ausschluss des Ausgleichs ausdrücklich bestimmt werden. Um spätere Streitigkeiten zwischen den Erben zu unterbinden, sollte der Ausschluss schriftlich niedergelegt werden.

Für die Höhe des Ausgleichs ist die Höhe bzw. der Wert der Zuwendung im Zeitpunkt der Überlassung an den Begünstigten entscheidend. Spätere Werterhöhungen oder -minderungen sind unerheblich. Für die Berechnung des Ausgleichs gilt Folgendes:
1. Schritt: Der Wert der Zuwendung wird dem gemeinsamen Erbteil aller Abkömmlinge hinzugezählt.
2. Schritt: Die Erbquote wird nach den gesetzlichen Regeln der Erbfolge ermittelt.
3. Schritt: Der Wert der Zuwendung wird von der Erbquote abgezogen.

Beispiel:
Der Witwer Herr Fischer hat zu Lebzeiten seinem Sohn Anton ein Grundstück im Wert von 100.000 Euro gekauft. Seinem zweiten Sohn Bert zahlte er die Berufsausbildung an der Universität in Höhe von 60.000 Euro und seiner Tochter Clara bezahlte er die traditionelle Aussteuer in Höhe von 30.000 Euro. Die Erbschaft beträgt insgesamt 500.000 Euro.
Im 1. Schritt sind der auf die Kinder anfallenden Erbschaft in Höhe von 500.000 Euro die Beträge von 100.000 Euro, 60.000 Euro und 30.000 Euro hinzuzuzählen. Dies ergibt eine Summe von 690.000 Euro.
Im 2. Schritt ist die Erbquote zu ermitteln. Als Erben 1. Ordnung erben die drei Kinder des verstorbenen Herrn Fischer je zu gleichen Teilen, d.h. je 1/3. Dies macht einen Betrag von 230.000 Euro aus.
Im 3. und letzten Schritt ist der Wert der bereits geflossenen Zuwendung von der Erbquote abzuziehen. Anton erhält daher anstatt der 230.000 Euro, lediglich 130.000 Euro (230.000 abzüglich 100.000 Euro für den Kauf des Grundstückes). Bert erhält 170.000 Euro (230.000 Euro abzüglich 60.000 Euro für die Ausbildung) und Clara erhält 200.000 Euro (230.000 Euro abzüglich 30.000 Euro für die Aussteuer). So erhalten letztendlich alle drei Kinder vom Erblasser gleich viel.

Ausgeglichen werden auch die Mitarbeit im Haushalt, im Unternehmen des Verstorbenen und dessen Pflege, soweit sie unter Verzicht auf die Erzielung eines eigenen Einkommens erfolgt, § 2057 a BGB. Die Mitarbeit im Unternehmen der Eltern bereitet in der Praxis oftmals keine Ausgleichsprobleme, da dem Kind in der Regel ein arbeitstypisches Entgelt gezahlt wird. Schwierigkeiten bereiten allerdings die Fälle der unentgeltlichen Pflege der Eltern. Maßgebend für die Höhe des Ausgleichs sind die Dauer und der Umfang der Pflege. Das pflegende Kind erhält einen Betrag, als hätte sie den kranken Elternteil wie eine Pflegekraft betreut. Dies ist nur gerecht, da das Kind in dieser Zeit keiner anderen entgeltlichen Tätigkeit nachgehen konnte. Der Ausgleich gegenüber den anderen Erben wird nicht wie im Falle der Zuwendung zu Lebzeiten berechnet, sondern wie folgt:
1. Schritt: Abzug des Ausgleichsbetrages von der gemeinsamen Erbmasse.
2. Schritt: Die Erbquote wird nach den gesetzlichen Regeln der Erbfolge ermittelt.
3. Schritt: Erbquote plus Ausgleichsbetrag.

Beispiel:
Der Witwer Herr Bauer hinterlässt drei Kinder. Er wurde über Jahre hinweg von seiner Tochter Clara gepflegt. Das Gericht setzte den Wert der Pflege mit 60.000 Euro fest. Die Erbschaft beträgt insgesamt 300.000 Euro.
Im 1. Schritt wird von der Erbmasse der Betrag für die Pflege abgezogen, so dass sich hier ein Betrag von 240.000 Euro errechnet.
Im 2. Schritt ist die Erbquote zu ermitteln. Als Erben 1. Ordnung erben die drei Kinder des verstorbenen Herrn Bauer je zu gleichen Teilen, d.h. je 1/3. Dies macht einen Betrag von 80.000 Euro aus.
Im letzen Schritt ist der Betrag für die Pflege dem Erbteil hinzuzurechnen. Clara erhält daher nach dem Tod ihres Vaters einen Betrag von 140.000 Euro. Ihre beiden Brüder erhalten je 80.000 Euro.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch "Erbrecht – Eine Einführung“ von Harald Brennecke, Dr. Maren Augustin und Isabell Hartung, ISBN 978-3-939384-17-5.


 

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Stand: November 2009


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Über die Autoren:

Harald Brennecke, Rechtsanwalt

Portrait Harald-Brennecke

Harald Brennecke ist seit 1997 mit erbrechtlichen Mandaten befasst.
Als Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht berät er insbesondere bei der Gestaltung von Unternehmertestamenten, der Übertragung von Unternehmensanteilen und der Ausarbeitung von Unternehmererbverträgen im Hinblick auf die Sicherung der Unternehmensnachfolge. Als Fachanwalt für Insolvenzrecht berät er Erben und potenzielle Erben bei überschuldetem Nachlass in Bezug auf Erbausschlagung, Dürftigkeitseinreden und der Beantragung und Begleitung bei Nachlassinsolvenzverfahren.
Er berät weiterhin bei der Erstellung von Testamenten und der Gestaltung von Vermögensübergängen, insbesondere aus erbschaftssteuerlicher Sicht und der Auseinandersetzung von Erbengemeinschaften. Er berät bei Pflichtteilsansprüchen, Vermächtnissen sowie bei Fragen der Vorerbschaft und Nacherbschaft. Er begleitet Erben bei der Beantragung von Erbscheinen und der Abwicklung der Erbschaft.

Harald Brennecke hat im Erbrecht veröffentlicht:

  • "Erbrecht – Eine Einführung“ von Harald Brennecke und Dr. Maren Augustin, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-17-5
  • „Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuerrecht: Das Recht der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Möglichkeiten zur Verringerung der Steuerbelastung bei Erbschaften und Schenkungen“, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-16-8

Bereits 1999 war er Experte für Erbrecht in einer Serie von Live-Fernsehsendungen.
Rechtsanwalt Brennecke ist Dozent für Erbrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:

  • Erbrecht für Steuerberater – Grundlagen des Erbrechts als Basis erbschaftssteuerrechtlicher Beratung
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