Gesellschaftsrecht in der Insolvenz – Teil 37 – Die Unterbilanzhaftung

4.8.3.3 Anwendung des Haftungssystems bei der Gründung


4.8.3.3.1 Unterbilanzhaftung

Der BGH hat die wesentlichen Voraussetzungen für eine Haftung bei einer wirtschaftlichen Neugründung und die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen in einer grundlegenden Entscheidung vom 06.03.2012 klargestellt:

Fehlt „nur“ die Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung, ist aber gegenüber dem Registergericht versichert worden, dass das Stammkapital eingezahlt oder verbraucht worden ist, so besteht eine zeitlich begrenzte Unterbilanzhaftung der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft.

Der Haftungsumfang besteht in der Differenz zwischen dem in der Satzung angegebenem Stammkapital und dem Wert des Gesellschaftsvermögens.

Beispiel:
Die vermögenslose M-GmbH wurde wirtschaftlich neu gegründet und verfügt nach Einzahlungen der Gesellschafter über ein Stammkapital von 25.000 EUR. Es wurde dem Registergericht unmittelbar nach der Neugründung nur versichert, dass das Stammkapital voll vorhanden ist. Die Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung fehlte bei der Anmeldung. Ein Jahr später meldet die Geschäftsführung Insolvenz an, da die M-GmbH aufgrund der mittlerweile entstandenen Verluste in Höhe von 155.000 EUR nicht mehr zahlungsfähig ist.
Da zum Zeitpunkt der Anmeldung beim Registergericht keine Differenz zwischen der Stammeinlage und dem Wert des Vermögens der M-GmbH bestand, besteht folglich kein Unterbilanzhaftungsanspruch für den Insolvenzverwalter gegenüber den Gesellschaftern.

Fehlen hingegen die Offenlegung und die abzugebende Einzahlungsversicherung, so haften die Gesellschafter anteilig auch für den negativen Wert des Gesellschaftsvermögens. Sie haben dann nicht nur alle Verluste auszugleichen, sondern müssen auch noch die Höhe des festgelegten Stammkapitals erreichen.

Beispiel:
Die wirtschaftlich neu gegründete M-GmbH führt in ihren Büchern Verluste in Höhe von 15.000 EUR. Die Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung nebst Einlageversicherung wurde dem Registergericht nicht mitgeteilt. Ein Jahr später meldet die Geschäftsführung Insolvenz an, da die M-GmbH aufgrund der mittlerweile entstandenen Verluste in Höhe von 155.000 EUR nicht mehr zahlungsfähig ist.
Der Insolvenzverwalter kann nun von den Gesellschaftern den Ausgleich der Verluste in Höhe von 15.000 EUR und die Erbringung der Stammeinlage in Höhe von 25.000 EUR, mithin 40.000 EUR einfordern.

Der maßgebliche Zeitpunkt in beiden Fällen ist hier entweder:

  • die Anmeldung der Satzungsänderung oder
  • die nach außen erkennbare Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit

Die Haftung trifft alle Gesellschafter, auch wenn diese im Zeitpunkt der Offenlegungsverpflichtung noch nicht an der Gesellschaft beteiligt sind. Sie haften als Rechtsnachfolger unabhängig davon, ob sie gegen die Offenlegungsverpflichtung verstoßen haben oder nicht. Denn der Unterbilanzhaftungsanspruch ist eine auf den Geschäftsanteil rückständige Leistung, für die der neue Gesellschafter gemäß § 16 Abs. 2 GmbHG einstehen muss.

Beispiel:
Die M-GmbH wurde wirtschaftlich neu gegründet. Ihr Stammkapital ist aufgebraucht. Eine Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Registergericht fand nicht statt. Nach einiger Zeit wird die M-GmbH an den nunmehr neuen Gesellschafter N verkauft. Kurze Zeit später fällt die M-GmbH in die Insolvenz.
Der Insolvenzverwalter wird nun die fehlende Stammeinlage von N einfordern, obwohl N nicht gegen die Offenlegungsverpflichtung verstoßen hat.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Gesellschaftsrecht in der Insolvenz“ von Harald Brennecke, Fachanwalt für Handels- und Gesellschafts- sowie Insolvenzrecht und Thomas Dörner, wissenschaftlicher Mitarbeiter, 1. Auflage 2014, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2014, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-26-7


 

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Stand: Dezember 2014


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Über die Autoren:

Harald Brennecke, Rechtsanwalt

Portrait Harald-Brennecke

Rechtsanwalt Harald Brennecke ist Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Fachanwalt für Insolvenzrecht.

Er berät, vertritt und begleitet Gesellschafter, Geschäftsführer und Unternehmen bei

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    z.B. Beratung zu Gesellschaftskonzepten, Gestaltung von Gesellschaftsverträgen, Geschäftsführerverträgen, Handelsregisteranmeldungen, Vorbereitung und Begleitung  bei Notarterminen 
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    Harald Brennecke ist seit 1999 im Bereich der Unternehmenssanierung tätig. Als Fachanwalt für Insolvenzrecht berät und begleitet er Sanierungen und betreut Geschäftsführer und Gesellschafter bei Firmeninsolvenzen. Er unterstützt Geschäftsführer in der Unternehmenskrise hinsichtlich der für sie bestehenden Haftungsrisiken sowie Gesellschafter im Interesse der Wahrung der Unternehmenswerte. Er unterstützt bei der Suche nach Investoren und Wagniskapitalgebern (venture capital), begleitet Verhandlungen und erstellt Investorenverträge.


Rechtsanwalt Harald Brennecke hat im Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht veröffentlicht:

  • "Das Recht der GmbH", Verlag Mittelstand und Recht, 2015, ISBN 978-3-939384-33-5
  • "Der Gesellschaftsvertrag der GmbH - Die GmbH-Satzung in Theorie und Praxis", 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-40-3
  • "Der Unternehmenskauf -  Rechtliche Risiken bei Kauf und Verkauf mittelständischer Unternehmen", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-18-2
  • "Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-29-8
  • "Gesellschaftsrecht in der Insolvenz", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-26-7
  • "Die Limited in der Insolvenz", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-34-2
  • "Der Insolvenzplan – Sanierungsinstrument in der Insolvenz", 2007, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-03-8
  • "Die Regelinsolvenz - Insolvenz für Unternehmer und Unternehmen", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-07-6
  • "Gesellschafterinteressen in der Publikums-KG: Auskunftsrechte der Kommanditisten einer Publikums-KG gegen Treuhänder“, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-28-1
  • "Die Gesellschafterversammlung: Ein Leitfaden", Harald Brennecke und Dipl.-Jur. Marc Schieren, M. L. E., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-50-2
  • "Arztpraxis – Kauf und Übergang", Harald Brennecke und Michael Kaiser, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-54-0

Folgende Veröffentlichungen von Rechtsanwalt Brennecke sind in Vorbereitung:

  • Die Due Diligence – Rechtliche Prüfung beim Unternehmenskauf
  • Die Liquidation der Kapitalgesellschaft
  • Die Unternehmergesellschaft (UG)

Harald Brennecke ist Dozent für Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht im DeutscherAnwaltVerein.  
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:

  • Gesellschaftsrecht für Steuerberater und Unternehmensberater – Grundlagen des Gesellschaftsrechts
  • Gesellschaftsvertragsgestaltung – Grundlagen und Risiken
  • Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) – kleine Chance, großes Risiko
  • Welche Gesellschaftsform ist die Richtige? Vor- und Nachteile der Rechtsformen für Unternehmer
  • Geschäftsführerhaftung – Geschäftsführung von Kapitalgesellschaften; das letzte große Abenteuer der westlichen Zivilisation
  • Insolvenzrecht für Gründer und lebende Unternehmen: Aus Insolvenzen anderer lernen heißt das eigene Insolvenzrisiko zu vermeiden
  • Unternehmenssanierung: Kopf aus dem Sand! Wer zu spät reagiert, reagiert nie wieder.
  • Insolvenzrecht für Steuerberater – Grundlagen des Insolvenzrechts für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
  • Insolvenzrecht für Unternehmensberater – Sanierungschancen erkennen und wahren
  • Insolvenzberatung: das (enorme) Haftungsrisiko des Sanierungsberaters

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Gericht / Az.: BGH Entscheidung v. 06.03.2012
Normen: § 16 GmbHG

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