Das Recht der Baugenehmigung – Teil 18 – Privilegierungstatbestände des § 35 Abs. 1 BauGB: Land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb

1.3.1 Die Privilegierungstatbestände des § 35 Abs. 1 BauGB

§ 35 Abs. 1 BauGB zählt abschließend die Vorhaben auf, die nach Auffassung des Gesetzgebers im Außenbereich zulässig sind, wenn ihnen öffentliche Belange nicht entgegenstehen und die Erschließung gesichert ist. Sie werden als „privilegierte Vorhaben“ bezeichnet.(Fußnote)

Der abschließende Katalog des § 35 Abs. 1 BauGB enthält Vorhaben, die

  • einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb (Nr. 1) oder
  • einem Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung (Nr. 2) dienen,
  • die ortsgebunden sind (Nr. 3) oder
  • wegen ihrer Anforderungen, Auswirkungen oder Zweckbestimmung außenbereichsbezogen sind (Nr. 4),
  • der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wind- oder Wasserenergie (Nr. 5)
  • der energetischen Nutzung von Biomasse im Rahmen bestimmter Betriebsformen (Nr. 6),
  • der Kernenergie (Nr. 7) oder
  • der solaren Strahlungsenergie (Nr. 8) dienen.

Um zu verhindern, dass das Gesetz umgangen und der Außenbereich zersiedelt wird, setzt die Privilegierung eines Vorhabens in allen Varianten des § 35 Abs. 1 BauGB voraus, dass die Zuordnung des jeweiligen Vorhabens zu dem die Privilegierung rechtfertigenden Zweck auf Dauer gewährleistet ist.(Fußnote)

Im folgenden wird auf Nr. 1 und Nr. 4-8 näher eingegangen.

1.3.1.1. Land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb

Gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ist ein Vorhaben im Außenbereich zulässig, das einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt.

Der für Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB zentrale Begriff der Landwirtschaft hat in § 201 BauGB seine Legaldefinition gefunden.

Gemäß § 201 BauGB ist Landwirtschaft i.S. Des BauGB insbesondere der Ackerbau, die Wiesen- und Wiedewirtschaft einschließlich der Tierhaltung, soweit das Futter überwiegend auf den zum landwirtschaftlichen Betrieb gehörenden, landwirtschaftlich genutzten Flächen erzeugt werden kann, die gartenbauliche Erzeugung, der Erwerbsobstbau, der Weinbau, die berufsmäßige Imkerei und die berufsmäßige Binnenfischerei. Mit Ausnahme der beiden zuletzt genannten Tätigkeiten muss es sich immer um einen Fall unmittelbarer Bodenertragsnutzung in dem Sinne handeln, dass der Boden zum Zwecke der Nutzung seines Ertrages planmäßig und eigenverantwortlich bewirtschaftet wird.(Fußnote)

Auch landwirtschaftsfremde Vorhaben, die wegen ihrer betrieblichen Zuordnung zu der landwirtschaftlichen Tätigkeit (also der Verarbeitung oder dem Absatz der in der Landwirtschaft erzeugten Güter dienen) „mitgezogen werden“, können an der Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB teilnehmen. Vorausgesetz wird dabei, dass es sich bei dem „mitgezogenen“ Betrieb nur um eine „bodenrechtliche Nebensache“ handelt.(Fußnote)

Landwirtschaft ist daher grundsätzlich nur unmittelbare Bodenertragsnutzung(Fußnote), die planmäßig eigenverantwortlich - also i.S.d. „Wirtschaftens“ - betrieben werden muss(Fußnote).

Nicht zur Landwirtschaft gehören daher Betriebe, die nur einen mittelbaren Bezug zur Landwirtschaft haben. Das ist der Fall bei landwirtschaftlichen Lohnbetrieben(Fußnote) sowie landwirtschaftliche Lohnfuhrunternehmen(Fußnote).

Die im BauGB nicht definierte Forstwirtschaft ist die planmäßige Bewirtschaftung von Wald zum Zwecke der Holzgewinnung. Dabei wird der Anbau, die Pflege und der Abschlag des Hoch-, Mittel- und Niederwaldes mit eingeschlossen.(Fußnote)

Ein Betrieb, der forstwirtschaftliche Arbeiten für Dritte ausführt, ist kein forstwirtschaftlicher Betrieb i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB.(Fußnote)

Land- und Forstwirtschaft sind im Außenbereich privilegiert, wenn sie in der Form eines „Betriebes“ geführt werden. Dahinter verbirgt sich der bereits oben angesprochene Gedanke, dass der Außenbereich nur wegen einer ernsthaften, auf Dauer angelegten und damit nachhaltigen landwirtschaftlichen Betätigung den Anspruch genommen werden soll und nicht wegen einer Landwirtschaft, die zur Freizeitgestaltung und damit als Hobby betrieben wird.(Fußnote) Ein Betrieb setzt eine bestimmte Organisation, Nachhaltigkeit und Ernsthaftigkeit voraus. Es muss sich ferner um ein auf Dauer – und zwar für Generationen – gedachtes und auch lebensfähiges Unternehmen handeln.(Fußnote) Der Begriff „Generationen“ markiert dabei einen Zeithorizont und keine Familienbindung des Betriebs.(Fußnote)

Die Rechtsprechung hat Kriterien entwickelt, deren Fehlen in der Regel darauf hindeutet, dass die Land- oder Forstwirtschaft nicht in der Form eines Betriebes geführt wird.(Fußnote)

Diese Kriterien sind:

  • die objektive Möglichkeit der Gewinnerzielung, wobei die tatsächliche Gewinnerzielung ebenso wenig gefordert ist wie die Berufsmäßigkeit;
  • der mehr oder minder auf Dauer, „für Generationen“, gesicherte Zugriff auf die notwendigen Nutzflächen, was regelmäßig Eigentum erfordert und der Verwendung von Pachtland Grenzen zieht;
  • der Umfang der Tätigkeit und eine gewisse organisatorische Verstetigung;
  • die persönliche, insbesondere fachliche und wirtschaftliche Eignung des Land- und Forstwirts(Fußnote)

Weiterhin muss das Vorhaben dem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb „dienen“.(Fußnote) Vorausgesetzt wird daher, dass das Vorhaben tatsächlich in einer funktionalen Beziehung zu dem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb steht.(Fußnote) Das Vorhaben muss nach der konkreten Wirtschaftsweise dem Betrieb hinreichend zweckdienlich sein. Dabei ist es nicht ausreichend, wenn es dem Betrieb lediglich förderlich ist. Hingegen ist es nicht erforderlich, dass es für den Betrieb unentbehrlich ist.(Fußnote)

Darüber hinaus verlangt § 35 Abs. 1 Nr. BauGB, dass das Vorhaben nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt. Hierdurch wird gewährleistet, dass der wesentliche Teil der Betriebsgrundstücke unbebaut und damit als Freifläche erhalten bleibt, um den Charakter des Außenbereichs zu erhalten.(Fußnote)


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Das Recht der Baugenehmigung“ von Olaf Bühler, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2015, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-35-9.


 

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Stand: Januar 2015


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