Kreditvertragsrecht – Teil 50 – Beratungs-, Warn- und Aufklärungspflichten im Kreditgeschäft


Autor(-en):
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin

Alena Kehret
wissenschaftliche Mitarbeiterin


4. Beratungs-, Warn- und Aufklärungspflichten im Kreditgeschäft

Will ein Verbraucher bei einer Bank einen Darlehensvertrag abschließen, benötigt er dazu in aller Regel verschiedene Informationen und Aufklärungen über bestimmte mit dem Darlehen verbundene Fragen. Stellt sich ein Umstand im Nachhinein als falsch heraus, kommt oft die Frage auf, ob die Bank Beratungspflichten gegenüber dem Kunden verletzt hat.

4.1. Keine Beratungs- und Aufklärungspflichten

Richtig ist, dass keine allgemeine und umfassende Beratungs-, Warn- und Aufklärungspflicht der Banken vor Abschluss eines Darlehensvertrages besteht. Eine Bank ist nicht verpflichtet, den Kunden über die Risiken der Darlehensverwendung, über die Zweckmäßigkeit der Aufnahme des Darlehens oder über die gewählte Finanzierungsform aufzuklären.

Grund dafür ist, dass der Kreditnehmer selbst die Verantwortung und auch das Risiko dafür trägt, wie er das Darlehen letztlich verwenden kann. Aufgrund dieser Risikoverteilung ist es auch die Pflicht des Verbrauchers, bei bestehenden Fragen und Unklarheiten eigenständig bei der Bank nachzuhaken oder sich anderweitig die notwendigen Informationen für seine Kreditentscheidung zu besorgen und nicht zu warten, bis die Bank mit diesen Informationen auf ihn zukommt.

Beispiel

Frau S will eine Immobilie erwerben. Sie begibt sich zur W-Bank, um sich dort für die Aufnahme eines Darlehens zur Finanzierung beraten zu lassen. Frau S trägt selbst die Verantwortung, sich darüber zu informieren, ob die Immobilie mangelfrei ist, ob der angegebene Kaufpreis angemessen ist und ob sich die Investition und die an die Bank zu zahlenden Zinsen lohnen. Außerdem muss sie sich selbst informieren, ob die Konditionen, die die Bank ihr angibt, in Ordnung sind oder ob sie anderweitig ein günstigeres Darlehen bekommen kann. Die Bank muss sie über all das nicht aufklären.

4.2. Ausnahme: Beratungs- und Auskunftsverträge

Eine Beratungspflicht der Bank besteht unter anderem, wenn zwischen dem Kunden und der Bank ein sog. Beratungsvertrag zustande gekommen ist. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn in Vorgesprächen mit dem kreditnehmenden Kunden die Bank erkennen konnte, dass die Beratung für den Kunden von erheblicher Bedeutung ist und er eine spezielle Fachkunde der Bank erwartet, auf deren Grundlage er die Kreditentscheidung überhaupt erst treffen will.

Dies ist dann der Fall, wenn die Bank nicht ausschließlich als Geldgeber auftritt.

Beispiel

Herr W möchte einen Kredit bei der T-Bank aufnehmen und vereinbart mit einem Mitarbeiter einen Besprechungstermin. Im Termin erzählt Herr W dem Bankmitarbeiter, dass er mit dem Kredit Wertpapiere kaufen möchte und somit für sein Alter vorsorgen will, dass er in solchen Geschäften jedoch noch völlig unerfahren ist. Er stellt dem Bankmitarbeiter viele Fragen über Anlagen und verschiedene Kreditformen und betont dabei immer wieder, dass es ihm wichtig sei, was der Bankmitarbeiter als „erfahrener Geld-Experte“ denke. Erst wenn man eine gute Anlage und Kreditform finde, wolle er überhaupt erst den Vertrag abschließen.
Hier konnte die Bank, vertreten durch den Mitarbeiter, erkennen, dass es für den Kunden besonders um die Beratung ging und dass die Entscheidung zum Kreditvertrag maßgeblich von der Beratung durch die Bank abhing. Wenn der Bankmitarbeiter die gewünschten Auskünfte erteilt, kommt ein Beratungsvertrag zwischen Herrn W und der Bank zustande.

4.3. Ausnahme: Aufklärungspflichten im Einzelfall, Fallgruppen

4.3.1. Wissensvorsprung bei Darlehensaufnahme

Beratungs- und Aufklärungspflichten der Bank können bestehen, wenn bei der Bank ein ganz konkreter Wissensvorsprung besteht.

Beispiel

Frau Weiß will bei der H-Bank einen Darlehensvertrag abschließen. Die Darlehensvaluta benötigt sie zur Finanzierung eines Immobilienkaufs vom Immobilienhändler Y, was Frau Weiß dem Bankmitarbeiter auch erzählt. Dieser hat zufälligerweise Kenntnis darüber, dass die Immobilie, die Frau Weiß kaufen will, erhebliche Wertminderungen erfahren hat, weil sich vor einigen Monaten herausgestellt hat, dass das Grundstück mit Öl verseucht ist. Auch der Immobilienhändler Y wusste davon, hat aber gegenüber Frau Weiß die einwandfreie Bodenbeschaffenheit versichert.

Hier ist von einer arglistigen Täuschung des Händlers zu Lasten Frau Weiß auszugehen. Die Bank hat durch ihr Wissen einen erheblichen Wissensvorsprung und ihr muss bewusst sein, dass dieses Wissen für Frau Weiß wichtig ist. Ausnahmsweise bestehen daher nebenvertragliche Aufklärungspflichten der Bank. Der Mitarbeiter muss Frau Weiß über die Täuschung durch Y aufklären.

4.3.2. Kreditaufnahme gegenüber gefährdeten Kunden

Aufklärungspflichten für die Bank bestehen weiterhin, wenn der Kunde in besonderem und konkretem Maße gefährdet ist, zum Beispiel indem das wirtschaftliche Risiko voll auf den Kunden abgewälzt wird und er so einem Risiko ausgesetzt wird, das über das Risikomaß hinaus geht, das normalerweise für das zu finanzierende Vorhaben zu erwarten wäre.

Beispiel

Herr A nimmt bei der D-Bank ein Darlehen in Höhe von 200.000 EUR auf, um damit von der K-Gruppe eine Wohnung zu kaufen. Die Wohnung liegt in einem Haus, das von der K-Gruppe im Rahmen eines Bauträgermodells gerade saniert wird. Die Bank stimmt dem Darlehensantrag von Herrn A zu und schließt mit Herrn A einen Darlehensvertrag ab. Herr A bezahlt den Kaufpreis für die Wohnung an die K-Gruppe. Was die Bank gegenüber Herrn A verschweigt ist, dass die K-Gruppe bereits seit längerem vermögenslos und fast insolvenzreif ist. Das Bauträgermodell und die K-Gruppe überleben nur, weil die D-Bank der Gruppe einen Zwischenkredit für die Fertigstellung des Sanierungsprojektes gegeben hat, doch auch dieser ist fast aufgebraucht, sodass das gesamte Projekt zu scheitern droht.

Hier besteht aufgrund der Insolvenzreife der K-Gruppe ein erhöhtes Risiko für Herrn A, über das die Bank hätte aufklären müssen.

4.3.3. Bank nimmt weitere Rolle neben Kreditgeberin ein

Ein weiterer Fall für bestehende Beratungspflichten der Bank ist in Fällen gegeben, in denen die Bank ihre Rolle als Darlehensgeber überschreitet. Das ist beispielsweise dann anzunehmen, wenn die Bank dem Kunden ein ganz bestimmtes Objekt empfiehlt und auf den Kaufvertrag direkt Einfluss nimmt, indem sie fest vorgibt, für welche maximale Höhe des Kaufpreises sie bereit ist, ihre Zustimmung als Grundschuldgläubigerin abzugeben.

Beispiel

Frau S möchte eine Immobilie erwerben. Hierfür benötigt sie ein Darlehen und wendet sich an die G-Bank, bei der sie sich über die Darlehenskonditionen erkundigt und nachfragt, in welcher Höhe sie das Darlehen erhalten könnte. Als der Bankmitarbeiter erfährt, dass Frau S eine Immobilie erwerben möchte, teilt er ihr mit, dass die G-Bank mit einigen Immobilienmaklern zusammenarbeitet und zeigt ihr verschiedene Immobilien, die gerade angeboten werden. Schließlich empfiehlt er Frau S eine ganz bestimmte Immobilie in der Innenstadt, nahe der Bank. Gegenüber Frau S sowie gegenüber dem Immobilieneigentümer und dem Makler gibt die G-Bank zu verstehen, dass sie nur bis zu einem Kaufpreis von maximal 300.000 EUR bereit ist, ein Darlehen zu gewähren. Somit einigt man sich am Ende auf einen Gesamtkaufpreis in Höhe von 280.000 EUR.

Die G-Bank hat mit ihrem Verhalten den reinen Darlehensgeber-Bereich verlassen. Es bestehen weitergehende Aufklärungspflichten bezüglich allen der Bank bekannten Umständen, die den Erwerb von Frau S und den Wert der Immobilie beeinflussen. So muss die Bank z.B. über alle ihr bekannten Faktoren aufklären, die den Immobilienwert mindern können, ebenso über etwaige Provisionen Dritter.

4.3.4. Unterschiedliche Interessen von Bank und Kunde

Schließlich sind Beratungs- und Aufklärungspflichten der Bank ausnahmsweise dann anzunehmen, wenn die Interessen der Bank gegenläufig zu denen des Kunden liegen.

Beispiel

Herr B möchte eine Immobilie kaufen und wendet sich an die T-Bank, weil er dazu ein Darlehen benötigt. Bei der T-Bank wird ihm eine Immobilie angepriesen, die gerade veräußert werden soll. Was die Bank nicht erzählt: Sie ist Kreditgeberin des bisherigen Eigentümers, der seine Raten nicht mehr zurückzahlen kann und hat daher ein erhebliches Eigeninteresse am Verkauf der Immobilie. Herr B entscheidet sich tatsächlich dazu, die Immobilie zu kaufen; alles wird in die Wege geleitet. Herr B will den Kaufpreis zunächst auf ein Notaranderkonto bezahlen, bis die Übertragung der Immobilie abgeschlossen ist. Als die Bank davon erfährt, rät sie ihm dringend dazu, den Kaufpreis direkt auf das Konto des Verkäufers, das ebenfalls bei der T-Bank unterhalten wird, zu bezahlen. Hier liegt eine Interessenkollision der Bank vor, weil sie ein erhebliches Eigeninteresse daran hat, dass der Kaufpreis nicht auf das Notaranderkonto gezahlt wird, sondern direkt auf das Konto des Verkäufers, weil die so Bank schneller befriedigt wird. Die Bank muss deshalb Herrn B über ihr Eigeninteresse aufklären.

4.4. Rechtsfolge verletzter Aufklärungspflichten

Ein Bankkunde sollte daher genau prüfen oder prüfen lassen, ob eine Beratungspflicht seitens seiner Bank bestand und verletzt wurde. In diesem Fall können Schadensersatzansprüche gegen die Bank wegen falscher oder fehlender Beratung geltend gemacht werden.

Beispiel

Frau W schließt bei der H-Bank einen Darlehensvertrag zur Finanzierung eines Immobilienkaufs ab. Von dem geplanten Immobilienkauf weiß die H-Bank. Der Bankmitarbeiter, der Frau W berät, hat Kenntnis davon, dass die Immobilie, die Frau W kaufen will, einen wesentlich geringeren Wert hat, als der Immobilienhändler ihr angegeben hat, weil das Grundstück mit Altöl verseucht ist. Der Bankmitarbeiter der H-Bank klärt Frau W darüber aber nicht.

Hier verletzt die H-Bank ihre Aufklärungspflicht gegenüber Frau W wegen des konkreten Wissensvorsprungs. Frau W kann von der H-Bank Schadensersatz wegen der Verletzung dieser Pflicht verlangen und ist durch die H-Bank so zu stellen, wie sie ohne die Verletzung der Aufklärungspflicht gestanden hätte. Da anzunehmen ist, dass sie bei richtiger Aufklärung die Immobilie nicht gekauft und den Darlehensvertrag bei der H-Bank nicht abgeschlossen hätte, kann die H-Bank bis auf die Rückzahlung des Darlehensbetrages keine Zinsen und anderen Kosten von Frau W verlangen. Zinsen und andere Kosten, die Frau W dennoch bezahlt hat, kann sie als Schadensersatz von der H-Bank zurückfordern.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kreditvertragsrecht“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Bank- und Kapitalmarktrecht, und Alena Kehret, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2014, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-35-9.


 

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Kontakt: ritterbach@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Dezember 2014


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Über die Autoren:

Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht

Portrait Carola-Ritterbach

Rechtsanwältin Carola Ritterbach arbeitet seit vielen Jahren im Bereich des Bankrechts. Sie ist Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht. Sie unterstützt Verbraucher und Unternehmer in jeglichen Bereichen, in denen Schwierigkeiten mit ihren Banken aufgetreten sind oder drohen aufzutreten.

Beispiele aus dem Tätigkeitsbereich von Rechtsanwältin Carola Ritterbach:

  • Beratung und Vertretung von Bankkunden bei allen Fragen hinsichtlich Darlehensverträgen, Kreditsicherheiten, wie beispielsweise Bürgschaften oder Grundschulden und Kapitalanlagen wie z.B. Wertpapiere oder Fonds
  • Durchsetzung von Schadensersatz- und Rückabwicklungsansprüchen bei Bankberatungsfehlern, z.B. beim Abschluss von offenen oder geschlossenen Immobilienfonds, Schiffsfonds, Zinsdifferenzgeschäften, Swapverträgen etc.
  • Beratung bei Fragen zur Anlagevermittlung und Prospekthaftung
  • Rückabwicklung von Bankanlageprodukten, die sich im Nachhinein als Verlust erweisen
  • Abwehr von Ansprüchen aus sittenwidrigen Angehörigen-Bürgschaften oder Darlehensmitübernahmen
  • Abwehr von Forderungen aus unzulässigen Klauseln in Bankverträgen
  • Rückabwicklung unberechtigter Gebührenzahlungen an Banken
  • Widerruf und Rückabwicklung von Immobiliendarlehen aufgrund fehlerhafter Widerrufserklärungen
  • Abwicklung von Leasingverträgen
  • Begleitung bei Sanierungen notleidender Finanzierungen
  • Unterstützung bei allen Fragen rund um das Girokonto, Sparbuch und dem elektronischen Zahlungsverkehr Wahrung des Bankgeheimnisses und Beanspruchung von Bankauskünften
  • Beratung und Vertretung im Bereich des Factorings

Rechtsanwältin Carola Ritterbach hat im Bankrecht veröffentlicht:

  • Die Beraterhaftung im Kapitalmarktrecht, 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-30-4
  • Kreditsicherheiten, 2015, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-27
  • Kreditzinsen und Vorfälligkeitsentschädigung - Gewinn- und Schadensberechnung der Banken, 2015, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-45-8
  • Bankvertragsrecht, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-32-8
  • Kreditvertragsrecht, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-35-9
  • Leasingrecht – Einführung in das Recht des Leasings, ISBN 978-3-939384-25-0, 2014, Verlag Mittelstand und Recht

 

Rechtsanwältin Ritterbach ist Dozentin für Bank- und Kapitalmarktrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Bank- und Kapitalmarktrecht im Deutschen Anwaltsverein.

Rechtsanwältin Ritterbach bietet Schulungen, Vorträge und Seminare zu den Themen:

  • Die Bürgschaft - Wer bürgt wird gewürgt?
  • Pflichten und Haftung bei der Anlageberatung - Welche Rechte haben Sie gegenüber Ihrer Bank?
  • Bankstrategien von Unternehmen – u.a.: Zweibankenstrategie, die passende Bank für Ihr Geschäft
  • Die Abrechnung von Leasingverträgen - Was Leasinggesellschaften dürfen und worauf Sie achten sollten
  • Der Verkauf von notleidenden Krediten – Was darf Ihre Bank und was nicht
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