Das Recht der Baugenehmigung – Teil 26 – Eingriffs- und Überwachungsbefugnisse der Bauaufsichtsbehörden

3. Kapitel Rechtsschutz im Bereich der Baugenehmigung

3.1. Eingriffs- und Überwachungsbefugnisse der Bauaufsichtsbehörden

Die zuständigen Baubehörden haben darauf zu achten, dass die baurechtlichen Vorschriften sowie die anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften über die Errichtung, die Unterhaltung und den Abbruch von Anlagen eingehalten und dass die aufgrund dieser Vorschriften ergangenen Verfügungen beachtet werden. Den Behörden stehen daher verschiedene Eingriffsermächtigungen zur Verfügung. So kann die Behörde eine Stilllegungsverfügung (Baueinstellung), eine Baubeseitigungsanordnung oder eine Nutzungsuntersagungsverfügung erlassen.(Fußnoten)

3.1.1. Ermächtigungsgrundlagen

Sofern eine Missachtung des Baugenehmigungsverfahrens oder materiell-rechtlicher Anforderungen vorliegt, kommen folgende Maßnahmen in Betracht:

1. Stilllegungsverfügung

2. Abbruch- bzw. Beseitigungsverfügung/-anordnung

3.Nutzungsuntersagung

Welche dieser Maßnahmen getroffen werden können, hängt von der Art des Rechtsverstoßes ab. Insoweit ist zu unterscheiden zwischen formell und materiell baurechtswidrigen Baumaßnahmen oder Vorhaben.(Fußnoten)

3.1.1.1. Formell baurechtswidrig

Formell baurechtswidrig oder formell illegal ist eine bauliche Anlage, wenn die erforderliche Genehmigung nicht eingeholt oder von ihr nicht nur unwesentlich abgewichen worden ist.(Fußnoten) Eine unfertige bauliche Anlage wird formell illegal bei Erlöschen der Baugenehmigung.(Fußnoten) Weiterhin tritt nach bestandskräftiger Rücknahme oder nach bestandskräftigem Widerruf einer Baugenehmigung formelle Illegalität ein.(Fußnoten) Bereits die formelle Illegalität kann ein Einschreiten ermöglichen.(Fußnoten)

3.1.1.2. Materiell baurechtswidrig

Materiell baurechtswidrig oder materiell illegal ist ein Vorhaben, wenn Vorschriften des materiellen öffentlichen Rechts dieses, wie es ausgeführt werden soll, verbieten.(Fußnoten)

3.1.2. Folgen rechtswidrigen Bauens/rechtswidriger Nutzung

3.1.2.1. Stilllegungsverfügung

Wird, obwohl eine Baugenehmigung erforderlich ist, ohne eine solche gebaut oder von der Baugenehmigung abgewichen, liegt ein Verstoß gegen das Bauordnungsrecht und somit gegen die öffentliche Sicherheit vor.(Fußnoten) Die sog. formelle Illegalität rechtfertigt die Einstellung der Bauarbeiten, so dass es auf die materielle Illegalität nicht ankommt. Diese wird angeordnet durch eine Stilllegungsverfügung oder Baueinstellung.(Fußnoten) Werden die Bauarbeiten trotz formeller Illegalität und Stilllegungsverfügung fortgeführt, kann als bauordnungsrechtliches Zwangsmittel die Versiegelung angeordnet werden (vgl. Art. § 75 Abs. 2 BauO Bay., § 79 Abs. 2 BauO MV).(Fußnoten) Um die Stilllegungsverfügung durchzusetzen können auch die auf der Baustelle vorhandenen Bauprodukte, Geräte, Maschinen oder Bauhilfsmittel in amtlichen Gewahrsam gebracht werden (BauO Bay., BauO MV, BauO Nds.). Neben den Zwangsmitteln kommt auch ein Bußgeld in Betracht (vgl. Art. 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 BauO Bay., § 84 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 BauO MV).(Fußnoten)

3.1.2.2. Abbruch- und Beseitigungsverfügung

Verstoßen bauliche Anlagen, andere Anlagen oder Einrichtungen gegen baurechtliche bzw. sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über Errichtung, Änderung, Instandhaltung oder Nutzung dieser Anlagen und Einrichtungen, kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.(Fußnoten) Für eine Beseitigungsverfügung ist die formelle Illegalität allein nicht ausreichend. Das Bauwerk muss auch materiell errichtet werden oder errichtet worden sein.(Fußnoten)

Soweit ein nachträgliches Baugenehmigungsverfahren wegen materieller Rechtswidrigkeit der baulichen Anlage nicht erfolgsversprechend ist, die Anlage somit formell und materiell illegal ist, kann die Baubehörde die Beseitigung der Anlage verlangen, soweit sich nicht – aus Gründen der Verhältnismäßigkeit – auf anderem Wege rechtmäßige Zustände herstellen lassen.(Fußnoten) Derartige Möglichkeiten können der Erlass von Nebenbestimmungen oder die Zulassung nachträglicher Abweichungen sein.(Fußnoten)

Ist auf Grund einer materiell rechtswidrigen Baugenehmigung ein Bauwerk errichtet worden, ist dieses zwar materiell rechtswidrig, aber formell rechtmäßig. Die Baugenehmigung entfaltet daher eine Legalisierungswirkung. Die Baugenehmigung sperrt den Erlass einer Beseitigungsverfügung jedoch nur solange, bis die Baugenehmigung zurückgenommen oder widerrufen wird.(Fußnoten)

Wurde ein Vorhaben, das im Zeitpunkt des Erlasses der Abbruchverfügung materiell rechtswidrig ist, ohne Baugenehmigung errichtet, genießt es Bestandsschutz, sofern das Bauwerk zum Zeitpunkt der Errichtung dem materiellen Recht entsprach.(Fußnoten)

Bestandsschutz
Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG, Recht auf Eigentum, gewährt baulichen Anlagen, die im Einklang mit dem materiellen Baurecht errichtet wurden oder, sofern sie bei ihrer Errichtung materiell baurechtswidrig waren, in einem späteren Zeitraum dem materiellen Baurecht entsprachen Bestandsschutz.(Fußnoten)
Der Eigentümer wird berechtigt, die bauliche Anlage zu erhalten und wie bisher zu nutzen, auch wenn dies nach dem aktuell geltenden Recht nicht mehr zulässig ist (sog. passiver Bestandsschutz).(Fußnoten)
Zulässig sind zudem Instandsetzung und Modernisierung sowie die Anpassung der baulichen Anlage an gewandelte Lebensgewohnheiten (aktiver Bestandsschutz).(Fußnoten)

Ist für die Errichtung einer baulichen Anlage weder eine Baugenehmigung noch eine Anzeige erforderlich, kann sie nicht formell illegal sein. In diesen Fällen genügt die materielle Rechtswidrigkeit für den Erlass einer Abrissverfügung.(Fußnoten)

3.1.2.3. Nutzungsuntersagung

Ist nicht die Anlage also solche, sondern lediglich ihre Nutzung rechtswidrig, genügt eine Nutzungsuntersagung bzw. ein Nutzungsverbot (vgl. Art 76 S. 2 BauO Bay., § 80 Abs. 2 S. 1 BauO MV).[22] Nach der Rechtsprechung reicht die formelle Illegalität einer bestimmten Nutzung aus, um eine Nutzungsuntersagung rechtmäßig verfügen zu können.(Fußnoten)

3.1.2.4. Ermessen der Behörde

Der Erlass einer Stilllegungs- oder Abbruchverfügung bzw. eines Nutzungsverbotes steht im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde.(Fußnoten)

3.1.2.5. Richtiger Adressat

Adressat der Ordnungsverfügung ist derjenige, der für den baurechtswidrigen Zustand verantwortlich ist, also die am Bau Beteiligten.(Fußnoten)

3.1.2.6. Durchsetzung

Befolgt der Adressat die bauaufsichtsbehördlichen Verfügungen nicht, können diese nach Maßgabe des allgemeinen Verwaltungsvollstreckungsrechts der Länder durchgesetzt werden. Die teilweise in den Bauordnungen vorgesehenen Mittel der Versiegelung und der Ingewahrsamnahme stellen spezielle Vollstreckungsmittel des unmittelbaren Zwangs gegen Sachen dar. Die Voraussetzungen des allgemeinen Vollstreckungsrechts gelten dann nicht.(Fußnoten)


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Das Recht der Baugenehmigung“ von Olaf Bühler, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2015, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-35-9.


 

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Stand: Januar 2015


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