Die Anlagengenehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz – Teil 05 – Arten und Wirkungen der Genehmigung und anderer behördlicher Entscheidungen: Konzentrationswirkung, Vorbescheid


3.3 Arten und Wirkungen der Genehmigung und anderer behördlicher Entscheidungen

Für die endgültige und umfassende Errichtung einer Anlage bzw. deren Betrieb ist eine Vollgenehmigung gemäß § 4 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) zwingend erforderlich. Unter Umständen ist es jedoch nicht zweckmäßig, ein komplexes und aufwendiges Genehmigungsverfahren durchzuführen, wenn bisher ungeklärte Teilfragen möglicherweise dazu führen, dass der Antragsteller von seinem Vorhaben Abstand nimmt. Der Gesetzgeber hat daher im BImSchG weitere Antragsarten vorgesehen und verleiht somit dem Genehmigungsverfahren einen mehrstufigen Charakter. Dadurch soll den Interessen der Anlagenbetreiber entsprochen und eine Entlastung der Behörden erreicht werden.

3.3.1 Die Vollgenehmigung

Die Erteilung einer Vollgenehmigung gemäß § 4 Bundesimmissionsschutzgesetz erfolgt nach der erfolgreichen Durchführung eines - förmlichen oder vereinfachten - Genehmigungsverfahrens (s.u., 4.1.2).

Zunächst entfaltet die Genehmigung stets eine Gestattungswirkung, wodurch ein formell und bzw. materiell verbotenes Verhalten erlaubt wird(Fußnote). Neben der Erlaubniswirkung hinsichtlich der Errichtung bzw. des Betriebs einer Anlage entfaltet die Genehmigung auch eine Konzentrations- und privatrechtsgestaltende Wirkung.

3.3.1.1 Konzentrationswirkung

Gemäß § 13 BImSchG schließt eine unanfechtbare Genehmigung andere, die Anlage betreffende, behördliche öffentlich-rechtliche "Genehmigungen, Zulassungen, Verleihungen, Erlaubnisse und Bewilligungen"(Fußnote) ein, sofern sie nicht ausdrücklich ausgenommen sind. Ziel der Konzentration ist die Koordination des Verwaltungshandelns und die Beschleunigung der Zulassung des Vorhabens.(Fußnote)

Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung umfasst somit auch andere bundes- und landesrechtliche Genehmigungen. Inhaltlich einbezogen werden u.a.:

  • Baugenehmigungen(Fußnote) sowie baurechtliche Ausnahmen und Befreiungen(Fußnote),
  • Erlaubnisse und Ausnahmen des Natur- und Denkmalschutzrechts(Fußnote),
  • Erlaubnisse für überwachungsbedürftige Anlagen nach der Betriebssicherheitsverordnung(Fußnote)

Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung entfaltet jedoch keine vollständige Konzentrationswirkung. Nicht umfasst sind u.a.:

  • Entscheidungen aufgrund atomrechtlicher Vorschriften(Fußnote),
  • wasserrechtliche Erlaubnisse und Bewilligungen nach §§ 6, 7 und 7a WHG(Fußnote).

Formell bewirkt § 13 BImSchG eine Verfahrenskonzentration, so dass lediglich ein einheitliches Verfahren vor der nach dem BImSchG zuständigen Behörde stattfindet. Daraus folgt eine Entscheidungskonzentration(Fußnote): die sachliche Prüfung des gemäß § 13 BImSchG umfassten Rechtsgebiets obliegt nunmehr ausschließlich der immissionschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde(Fußnote). Die Konzentrationswirkung der Genehmigung bewirkt jedoch niemals eine Konzentration oder sogar eine Reduktion des materiellrechtlichen Prüfungsumfangs und -maßstabs(Fußnote).

3.3.1.2 Privatrechtsgestaltende Wirkung

Die Anlagengenehmigung zielt kraft ihrer öffentlich-rechtlichen Gestaltungswirkung darauf ab, eine konkrete Rechtslage oder ein konkretes Rechtsverhältnis zu begründen, abzuändern oder aufzuheben(Fußnote). Zusätzlich kommt ihr durch § 14 S. 1 BImSchG eine privatrechtsgestaltende (Ausschluss-)Wirkung zu. Danach schließt die Anlagengenehmigung diejenigen privatrechtlichen Abwehransprüche der Grundstücksnachbarn aus, die nicht auf besonderen Titeln beruhen. Diese Regelung bezieht sich somit auf Abwehransprüche aus dem allgemeinen Nachbarrecht oder dem Deliktsrecht. Nicht ausgeschlossen sind jedoch Ansprüche aus einem Vertrag oder aufgrund dinglicher Ansprüche am Betriebsgrundstück.

Um eine Ausschlusswirkung gemäß § 14 BImSchG zu entfalten, muss

  • die Genehmigung wirksam,
  • im Rahmen eines förmlichen Verfahrens erteilt sowie
  • für den Anspruchsberechtigten unanfechtbar geworden sein;
  • und die Anlage der Genehmigung entsprechend betrieben werden.

Zunächst muss die Genehmigung wirksam, also nicht nichtig sein. Ist sie gemäß § 18 Abs. 2 BImSchG erloschen, besteht die Wirkung des § 14 BImSchG fort(Fußnote).

Des Weiteren muss sie im Wege des förmlichen Verfahrens erteilt worden sein - unabhängig davon, ob ein solches Verfahren vorgeschrieben war(Fußnote). Dies ist damit zu begründen, dass nur das förmliche Verfahren Dritten im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung die Möglichkeit bietet, Ansprüche geltend zu machen.

Ferner müssen die für den Anspruchsberechtigten geltenden Fristen für Rechtsmittel gegen die Genehmigung oder ein bestätigendes Urteil abgelaufen und die Genehmigung somit unanfechtbar sein.

Schließlich reicht der Schutz des Anlagenbetreibers nur soweit, wie der Betrieb dem Genehmigungsbescheid entspricht. Dies bedeutet einerseits, dass die Anlage nicht genehmigungswidrig betrieben werden darf, andererseits umfasst die Ausschlusswirkung auch nur die Teile der Anlage, die von der Genehmigung umfasst sind.

Ist der Anspruch ausgeschlossen, bleibt dem Grundstücksnachbarn lediglich die Möglichkeit, Schutzvorkehrungen zu verlangen (§ 14 S. 1 2. HS BImSchG). Der Anlagenbetreiber wird hierbei privilegiert, da solche Schutzvorkehrungen nur dann verlangt werden können, wenn sie nach dem Stand der Technik (vgl. Definition in § 3 Abs. 6 BImSchG) durchführbar und auch wirtschaftlich vertretbar sind. Dadurch ist ausgeschlossen, dass dem Anspruchsteller ein unbegrenzter Ersatzanspruch zugestanden wird, welcher den Betrieb der Anlage faktisch oder wirtschaftlich unmöglich macht. Ist auch ein Anspruch auf Schutzvorkehrungen ausgeschlossen, steht dem Anspruchsteller lediglich ein Schadenersatzanspruch zu, § 14 S. 2 BImSchG.

3.3.2 Der Vorbescheid

Ist eine Anlage genehmigungsbedürftig (s.o., 3.2), so kann vor der Einleitung des Genehmigungsverfahrens ein Vorbescheid gemäß § 9 BImSchG beantragt werden. Dabei handelt es sich um ein selbständiges Verfahren.

3.3.2.1 Regelungsgehalt

Inhalt des Vorbescheids ist die Entscheidung über eine "gedankliche Teilfrage" der Genehmigung(Fußnote). Bevor ein kostenintensives und umfangreiches Genehmigungsverfahren durchgeführt wird, kann der Anlagenbetreiber sowohl die grundlegende Frage des Standorts (Standortvorbescheid), als auch besonders problematisch erscheinende Fragen klären lassen. Als Antragsgegenstand kommt daher jede Genehmigungsvoraussetzung gemäß § 6 BImSchG in Betracht, sofern sie zum Antragszeitpunkt abschließend beurteilt werden kann(Fußnote).

3.3.2.2 Voraussetzungen

Die Erteilung eines Vorbescheids setzt voraus:

  • einen entsprechenden (schriftlichen) Antrag,
  • einen tauglichen Antragsgegenstand (s.o., 3.3.2.1),
  • falls die Anlage UVP-pflichtig ist: die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung und
  • ein berechtigtes Interesse des Anlagenbetreibers.

Ein berechtigtes Interesse des Anlagenbetreibers ergibt sich regelmäßig aus wirtschaftlichen Erwägungen. Als Begründung anerkannt sind etwa die Reduzierung von Kosten(Fußnote) oder die Erwartung einer deutlichen Zeitersparnis.(Fußnote) In Betracht kommen allerdings auch faktische oder technische Gründe. Ein besonderes Interesse kann beispielsweise dann vorliegen, wenn eine umfangreiche Anlage geplant oder ausgebaut werden soll und das Vorhaben typischerweise in Abschnitten realisiert wird.(Fußnote)

3.3.2.3 Rechts- und Bindungswirkung

Der Vorbescheid ist keine Genehmigung, sondern lediglich eine Auskunft,(Fußnote) dessen Inhalt sich aus § 23 der 9. BImSchV ergibt. Die inhaltliche Entscheidung der Teilfrage berechtigt weder zur Errichtung oder gar zum Betrieb auch nur eines Anlagenteils, noch sagt sie dem Antragsteller eine zukünftige Genehmigung zu.(Fußnote)

Mit einem Vorbescheid trifft die Behörde jedoch im Umfang der Entscheidung eine verbindliche Festlegung über einen die Genehmigung betreffenden Teilaspekt. Die Behörde ist daher an die mit dem Vorbescheid abschließend beurteilte Genehmigungsvoraussetzung gebunden. Selbst wenn sich die dem Vorbescheid zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich ändert, muss sich die Behörde am Vorbescheid zunächst grundsätzlich festhalten lassen. Diese Systematik führt dazu, dass das Vertrauen des Antragstellers in den Bestand des Vorbescheids geschützt wird. Die Behörde kann allerdings den Vorbescheid unter den Voraussetzungen von § 9 Abs. 3 i.V.m § 21 des Bundesimmissionsschutzgesetzes widerrufen.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Anlagengenehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz“ von Olaf Bühler, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, und Niklas Gatermann, LL.M. of German and Polish Law und deutsche Rechtswissenschaften an der Europa-Universität Viadrina, Magister des Polnischen Rechts an der Adam-Mickiewicz-Universität Poznan, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-58-8.


 

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Stand: Januar 2016


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