Die Gesellschafterversammlung: Ein Leitfaden – Teil 14 – Sonderfall: Beschlussfassung über die Änderung des Gesellschaftsvertrages, Auslegung von Gesellschafterbeschlüssen

6.8 Sonderfall: Beschlussfassung über die Änderung des Gesellschaftsvertrages

Der Gesellschaftsvertrag kann jederzeit durch Beschluss der Gesellschafter geändert werden (§§ 53, 54 GmbHG).

6.8.1 Zuständigkeit und Inhalt

Änderung meint jede ausdrückliche Veränderung des Wortlauts des Gesellschaftervertrages, die in einer

  • Modifizierung
  • Streichung
  • Neufassung
  • Aufnahme einer neuen Regelung oder
  • redaktionellen Änderung

zu sehen ist.[1]

Eine Satzungsänderung durch schlüssiges Verhalten oder faktische Gesellschaftspolitik ist ausgeschlossen.[2] Zuständig für solche Änderungen ist zwingend die Gesellschafterversammlung.[3] Einzig für die Erhöhung des im Gesellschaftsvertrag festgelegten Stammkapitals kann nach § 55a GmbHG die Zuständigkeit auf die Geschäftsführung übertragen werden.[4]

Beispiel
Der Gesellschaftsvertrag der X GmbH (Stammkapital: 25.000 €) sieht vor, dass die Geschäftsführung befugt ist, das Stammkapital um einen Betrag von 10.000 € bis fünf Jahre nach Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister durch Ausgabe neuer Geschäftsanteile zu erhöhen.

  • Geschäftsführer A kann somit neue Geschäftsanteile bis zu 10.000 € vergeben.

Allerdings unterliegen nur sog. "korporative Satzungsbestandteile" den strengen Formvorschriften für Satzungsänderungen. Solche Bestandteile sind vor allem die notwendigen Satzungsregelungen (insbesondere nach § 3 GmbHG), wie zum Beispiel:

  • Firma und Sitz der Gesellschaft
  • Gegenstand des Unternehmens
  • Höhe des Stammkapitals und Bestimmung der Stammeinlagen
  • ggf. zeitliche Befristung des Gesellschaftsbestandes
  • ggf. Nebenpflichten der Gesellschafter
  • ggf. Regelungen über Sacheinlagen (§ 5 Abs. 4 GmbHG) oder
  • ggf. Bestellung eines Aufsichtsrates (§ 52 GmbHG).[5]

Individuelle Satzungsregelungen, wie zum Beispiel über

  • die Bilanzierung
  • abweichende Beschlussfassungsregeln oder
  • Modalitäten über die Gewinnverteilung

können ebenfalls unter diese strengen Formvorschriften fallen, wenn sie ebenfalls "korporativen Charakter" haben, also die innere Organisation der GmbH und ihre rechtlichen Beziehungen zu den Gesellschaftern zum Gegenstand haben.[6]

Beispiel
Der Gesellschaftsvertrag der X GmbH sieht vor, dass dem Gesellschafter A ein Vetorecht bei Abstimmungen eingeräumt wird.

  • Eine solche Vorschrift hat korporativen Charakter und kann nur unter Einhaltung der strengen Formvorschriften für Satzungsänderungen und mit Zustimmung des Gesellschafters A (§ 35 BGB)[7] geändert werden.

Andere, d.h. nichtkorporative Regelungen, haben dagegen keinen gesellschaftsrechtlichen, sondern lediglich schuldrechtlichen Charakter und können daher im allgemeinen Beschlussverfahren geändert werden.

Beispiel
Der Gesellschaftsvertrag der X GmbH sieht vor, dass G zum ersten Geschäftsführer bestellt wird.[8]

  • Diese Regelung hat keinen korporativen Charakter und kann daher ohne Einhaltung besonderer Formvorschriften geändert werden.

Im Gesellschaftsvertrag kann ausdrücklich geregelt werden, ob eine bestimmte Regelung korporativen Charakter haben soll. Dies empfiehlt sich insbesondere, um Unklarheiten und Abgrenzungsschwierigkeiten zu vermeiden. Ansonsten sollten derartige Änderungen grundsätzlich nach dem Satzungsänderungsverfahren durchgeführt werden, um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden, die aus einer unwirksamen Beschlussfassung resultieren könnten.[9]

6.8.2 Form

Der Änderungsbeschluss nach § 53 Abs. 1 GmbHG ist gemäß § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG notariell zu beurkunden (§§ 36, 37 BeurkG). Der Notar muss mindestens den Wortlaut der Satzungsänderung, das Abstimmungsergebnis sowie die Feststellung der Beschlussfassung in die Beurkundung aufnehmen.[10] Auf die Durchführung einer Gesellschafterversammlung kann verzichtet werden, wenn bei der Beurkundung alle Gesellschafter anwesend sind.[11] Ansonsten muss die Stimmabgabe im Rahmen der Gesellschafterversammlung nicht zwingend beim Notar stattfinden.

Die Satzungsänderung ist sodann zum Handelsregister, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat, anzumelden (§ 54 Abs. 3 GmbHG). Die Änderung wird erst nach Prüfung, Eintragung und Bekanntmachung durch das Registergericht wirksam.[12] Zuständig für die Anmeldung sind die Geschäftsführer im Rahmen ihrer Vertretungsmacht. Sie muss elektronisch in öffentlich beglaubigter Form unter Beifügung des neugefassten Gesellschaftsvertrages mit einer Bescheinigung des Notars, dass der Wortlaut aus den Änderungen der vorherigen Fassung resultiert, sowie Vollmachten und ggf. Zustimmungserklärungen betroffener Gesellschafter erfolgen.[13]

6.8.3 Verstoß gegen Formvorschriften

Verstöße gegen die formellen Änderungsvoraussetzungen ziehen die Nichtigkeit der begehrten Satzungsänderung nach sich, wobei ein Verstoß gegen die Beurkundungspflicht mit der Eintragung in das Handelsregister geheilt wird (§ 242 Abs. 1 AktG analog).

Beispiel
Die Gesellschafterversammlung der X GmbH beschließt - zunächst formell ordnungsgemäß - die Änderung des Gesellschaftsvertrages. Die Geschäftsführung meldet diese zur Eintragung in das Handelsregister an, ohne den Beschluss jedoch notariell beurkunden zu lassen. Die Änderung wird dennoch vom Registergericht in das Handelsregister eingetragen.

  • Die Eintragung heilt die Fehlerhaftigkeit. Der Beschluss wird nachträglich wirksam.

6.8.4 Vertretung

Gesellschafter können sich bei der Beschlussfassung über Änderungen des Gesellschaftsvertrages nach den allgemeinen Regeln vertreten lassen.[14]

6.8.5 Mehrheits- und Zustimmungserfordernisse

Änderungen des Gesellschaftsvertrages bedürfen einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen, wobei der Vertrag selbst andere Mehrheitserfordernisse vorsehen kann.[15] Wegen der zentralen Bedeutung der Satzung und zum Schutze der Gesellschafterminderheit ist eine Absenkung des Quorums jedoch ausgeschlossen.[16]
In bestimmten, der Änderung des Gesellschaftsvertrages gleichzusetzenden Fällen, ist die Zustimmung aller Gesellschafter notwendig, so zum Beispiel

  • für eine Änderung des Gesellschaftszwecks (von gewinnorientiert zu gemeinnützig oder umgekehrt),
  • bei der Beschlussfassung über Nachschusspflichten,
  • Mitarbeitspflichten,
  • Beherrschungsverträgen oder
  • Einhaltung von Wettbewerbsverboten.[17]

Eingeräumte Sonderrechte einzelner Gesellschafter oder Gesellschaftergruppen können nach § 35 BGB nur mit deren Zustimmung entzogen oder geändert werden.[18]

6.9 Auslegung von Gesellschafterbeschlüssen

Beschlüsse der Gesellschafterversammlung können unklar oder mehrdeutig gefasst sein, so dass sie ausgelegt werden müssen. Im Rahmen der Auslegung ist nicht ausschließlich auf den Wortlaut des Beschlusses abzustellen, sondern das von den Gesellschaftern tatsächlich Gewollte zu ermitteln. Eine Ausnahme bilden der Gesellschaftervertrag und Änderungen des Gesellschaftervertrages, die wegen ihrer zentralen Bedeutung innerhalb der GmbH anhand objektiver Kriterien, d.h. vornehmlich am Wortlaut ausgerichtet, auszulegen sind.

Beispiel
Die Gesellschafter beschließen, "dem Geschäftsführer G zu kündigen".

  • Gemeint ist damit, dass der G von seinem Amt als Geschäftsführer entbunden wird und der Anstellungsvertrag gekündigt werden soll.

Im Wege einer Feststellungsklage (§ 256 ZPO) können Gesellschafter oder die Geschäftsführung den konkreten Inhalt eines Gesellschafterbeschlusses verbindlich feststellen lassen.[19]


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Gesellschafterversammlung: Ein Leitfaden“ von Harald Brennecke, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, und Dipl.-Jur. Marc Schieren, M. L. E., mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-50-2.


 

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Stand: Januar 2016


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    Harald Brennecke ist seit 1999 im Bereich der Unternehmenssanierung tätig. Als Fachanwalt für Insolvenzrecht berät und begleitet er Sanierungen und betreut Geschäftsführer und Gesellschafter bei Firmeninsolvenzen. Er unterstützt Geschäftsführer in der Unternehmenskrise hinsichtlich der für sie bestehenden Haftungsrisiken sowie Gesellschafter im Interesse der Wahrung der Unternehmenswerte. Er unterstützt bei der Suche nach Investoren und Wagniskapitalgebern (venture capital), begleitet Verhandlungen und erstellt Investorenverträge.


Rechtsanwalt Harald Brennecke hat im Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht veröffentlicht:

  • "Das Recht der GmbH", Verlag Mittelstand und Recht, 2015, ISBN 978-3-939384-33-5
  • "Der Gesellschaftsvertrag der GmbH - Die GmbH-Satzung in Theorie und Praxis", 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-40-3
  • "Der Unternehmenskauf -  Rechtliche Risiken bei Kauf und Verkauf mittelständischer Unternehmen", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-18-2
  • "Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-29-8
  • "Gesellschaftsrecht in der Insolvenz", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-26-7
  • "Die Limited in der Insolvenz", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-34-2
  • "Der Insolvenzplan – Sanierungsinstrument in der Insolvenz", 2007, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-03-8
  • "Die Regelinsolvenz - Insolvenz für Unternehmer und Unternehmen", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-07-6
  • "Gesellschafterinteressen in der Publikums-KG: Auskunftsrechte der Kommanditisten einer Publikums-KG gegen Treuhänder“, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-28-1
  • "Die Gesellschafterversammlung: Ein Leitfaden", Harald Brennecke und Dipl.-Jur. Marc Schieren, M. L. E., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-50-2
  • "Arztpraxis – Kauf und Übergang", Harald Brennecke und Michael Kaiser, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-54-0

Folgende Veröffentlichungen von Rechtsanwalt Brennecke sind in Vorbereitung:

  • Die Due Diligence – Rechtliche Prüfung beim Unternehmenskauf
  • Die Liquidation der Kapitalgesellschaft
  • Die Unternehmergesellschaft (UG)

Harald Brennecke ist Dozent für Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht im DeutscherAnwaltVerein.  
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:

  • Gesellschaftsrecht für Steuerberater und Unternehmensberater – Grundlagen des Gesellschaftsrechts
  • Gesellschaftsvertragsgestaltung – Grundlagen und Risiken
  • Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) – kleine Chance, großes Risiko
  • Welche Gesellschaftsform ist die Richtige? Vor- und Nachteile der Rechtsformen für Unternehmer
  • Geschäftsführerhaftung – Geschäftsführung von Kapitalgesellschaften; das letzte große Abenteuer der westlichen Zivilisation
  • Insolvenzrecht für Gründer und lebende Unternehmen: Aus Insolvenzen anderer lernen heißt das eigene Insolvenzrisiko zu vermeiden
  • Unternehmenssanierung: Kopf aus dem Sand! Wer zu spät reagiert, reagiert nie wieder.
  • Insolvenzrecht für Steuerberater – Grundlagen des Insolvenzrechts für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
  • Insolvenzrecht für Unternehmensberater – Sanierungschancen erkennen und wahren
  • Insolvenzberatung: das (enorme) Haftungsrisiko des Sanierungsberaters

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