Die Europäische Aktiengesellschaft (SE) als Rechtsform für mittelständische Unternehmen – Teil 01 – Einführung, Europäische Aktiengesellschaft

1 Einführung

Unternehmen stehen verschiedene Rechtsformen zur Verfügung. Neben nationalen Rechtsformen, wie beispielweise die GmbH oder die Aktiengesellschaft besteht die Möglichkeit die supranationale Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft - auch Societas Europaea (SE)(Fußnote) genannt - zu wählen. Die SE wird nicht nur von Großunternehmen, sondern auch von mittelständischen Unternehmen genutzt. Insgesamt haben sich seit der Einführung der Rechtsform in Deutschland 2574 Unternehmen entschieden, in einer SE zu firmieren.(Fußnote)

In diesem Buch werden die Besonderheiten einer SE aufgezeigt und korrespondierende Rechtsfragen erläutert. Die angeführten Beispiele beruhen auf Sachverhalten aus Rechtsprechung und Praxis.

2 Europäische Aktiengesellschaft

Die SE bietet den mittelständischen Unternehmen in Zeiten der zunehmenden Globalisierung Chancen, im internationalen Wettbewerb mitzuhalten.
Die Besonderheiten der SE liegen in folgenden Bereichen:

  • Verschiedene Gründungsmöglichkeiten
  • Wahl des Leitungssystems
  • Europäische Corporate Identity bei Geschäftspartnern, Kunden und Mitarbeitern
  • Möglichkeit der Sitzverlegung
  • Konzern- und Gruppeneinbindung
  • Mitbestimmung(Fußnote)

2.1 Regelungsrahmen der SE

Der Regelungsrahmen der supranationalen Gesellschaft ist sehr komplex. Rechtsgrundlage der SE ist die EG-Verordnung 2157/2001 über das Statut der SE, die sog. SE-VO, die am 08.10.2004 in Kraft getreten ist.(Fußnote) Diese stellt eine gemeinschaftsrechtliche Rahmenreglung dar. Der europäische Gesetzgeber hat in der SE- VO rechtliche Fragen jedoch nicht abschließend geklärt bzw. offen gelassen, so dass die Verordnung zahlreiche an die jeweiligen Mitgliedsstaaten adressierte Regelungsaufträge enthält. Die jeweiligen Mitgliedsstaaten waren durch diesen Auftrag angehalten, eigene nationale Regelungen auszugestalten und umzusetzen.(Fußnote) In Deutschland wurde das Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft, das sog. SE-Einführungsgesetz(Fußnote) verabschiedet, das am 29.12.2004 in Kraft getreten ist.

Das sog. SEEG besteht aus folgenden Einzelgesetzen:

  • Gesetz über die Ausführung der EG-Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (Fußnote): In diesem Gesetz sind im Wesentlichen Regelungen bzgl. der Gründungsarten einer SE und der unterschiedlichen Leitungssysteme geregelt.
  • Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (Fußnote): Hier finden sich Regelungen hinsichtlich der Ausgestaltung der Mitbestimmung innerhalb der SE.

Die SE-VO enthält besondere Normen, die auf das jeweilige bestehende nationale Recht verweisen. Hinsichtlich einer deutschen SE finden grundsätzlich folgende Normen über die Verweisung Anwendung:

  • AktG
  • Einführungsgesetz des AktG
  • HGB

Als weitere Rechtsquellen sind ebenfalls Satzungen auf Verordnungsebene sowie auf nationaler Ebene zu beachten.(Fußnote)

2.2 Normenpyramide

Um die unübersichtliche Lage von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht zu regeln, bedient sich die SE-VO einer Verweisungstechnik, die den Entstehungsprozess der Gesellschaftsform berücksichtigt. Hierfür koordiniert die generelle Verweisungsnorm des Art. 9 SE-VO mittels einer Rangordnung, sog. Normenpyramide, das Zusammenspiel gemeinschaftsrechtlicher und nationaler Vorschriften.(Fußnote) Anhand dieser Regelungstechnik kann das anwendbare Recht bestimmt werden.

Die Normenpyramide(Fußnote) ist wie folgt aufgebaut:

An der Spitze der Pyramide steht die SE-VO. Die Regelungen aus der SE-VO bilden den Rahmen und sind vorrangig anzuwenden. So sind beispielsweise die Regelungen hinsichtlich einer geplanten Sitzverlegung einer SE direkt aus Art. 8 SE-VO zu entnehmen.

Enthält die SE-VO keine Regelungen zu einem bestimmten Gebiet, wird auf die erste Stufe der Normenpyramide zurückgegriffen.(Fußnote) Gem. Art. 9 I b SE-VO gelten dann in den Bereichen, die die SE-VO regelt, die Bestimmungen der Satzung, die sich die jeweilige SE selbst gegeben hat. So muss beispielsweise in der Satzung gem. Art. 38 b SE-VO geregelt werden, ob die SE ein dualistisches oder monistisches Leitungssystem wählt.

Bei fehlender Regelung durch die SE-VO bzw. bei fehlender Regelung der SE eigenen Satzung gelten gem. Art. 9 I c i SE-VO die mitgliedsstaatlichen Rechtsvorschriften, die der jeweilige nationale Gesetzgeber aufgrund der in der SE-VO enthaltenen Ermächtigung erlassen hat. Für Regelungen hinsichtlich der Arbeitnehmermitbestimmung muss beispielsweise auf das durch den nationalen Gesetzgeber erlassene SEBG zurückgegriffen werden.

Nach Art. 9 I c ii SE-VO besteht die Möglichkeit auf die mitgliedsstaatlichen Rechtsvorschriften, die auf eine - nach dem Recht des Sitzstaates der SE gegründete - Aktiengesellschaft Anwendung finden, zurückzugreifen, sofern keine Regelungen auf den vorrangigen Stufen enthalten sind.(Fußnote) Es handelt sich hierbei um die Regelungen des AktG oder des HGB.(Fußnote)

Auf der untersten Stufe der Normenpyramide finden sich gem. Art. 9 I c iii SE-VO alle anderen Satzungsbestimmungen der SE, die im nationalen Aktienrecht des jeweiligen Sitzstaates zulässig sind. So kann beispielsweise in der Satzung der SE festgelegt werden, dass - sofern Vorstand und Aufsichtsrat den Jahresabschluss festsetzen - ein größerer oder ein kleinerer Teil als die Hälfte des Jahresüberschusses in eine Gewinnrücklage eingestellt werden.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Europäische Aktiengesellschaft (SE) als Rechtsform für mittelständische Unternehmen“ von Harald Brennecke, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, und Sarah Schwab, Wirtschaftsjuristin LL.M., mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-60-1.


 

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Stand: Januar 2017


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Harald Brennecke, Rechtsanwalt

Portrait Harald-Brennecke

Rechtsanwalt Harald Brennecke ist Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Fachanwalt für Insolvenzrecht.

Er berät, vertritt und begleitet Gesellschafter, Geschäftsführer und Unternehmen bei

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    z.B. Beratung zu Gesellschaftskonzepten, Gestaltung von Gesellschaftsverträgen, Geschäftsführerverträgen, Handelsregisteranmeldungen, Vorbereitung und Begleitung  bei Notarterminen 
  • Auseinandersetzungen zwischen Gesellschaftern
  • Liquidation von Gesellschaften
  • Firmenkäufen
  • Due Diligence
  • Geschäftsführerverträgen
  • Sanierung, Insolvenzvermeidung und Insolvenzbegleitung:
    Harald Brennecke ist seit 1999 im Bereich der Unternehmenssanierung tätig. Als Fachanwalt für Insolvenzrecht berät und begleitet er Sanierungen und betreut Geschäftsführer und Gesellschafter bei Firmeninsolvenzen. Er unterstützt Geschäftsführer in der Unternehmenskrise hinsichtlich der für sie bestehenden Haftungsrisiken sowie Gesellschafter im Interesse der Wahrung der Unternehmenswerte. Er unterstützt bei der Suche nach Investoren und Wagniskapitalgebern (venture capital), begleitet Verhandlungen und erstellt Investorenverträge.


Rechtsanwalt Harald Brennecke hat im Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht veröffentlicht:

  • "Das Recht der GmbH", Verlag Mittelstand und Recht, 2015, ISBN 978-3-939384-33-5
  • "Der Gesellschaftsvertrag der GmbH - Die GmbH-Satzung in Theorie und Praxis", 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-40-3
  • "Der Unternehmenskauf -  Rechtliche Risiken bei Kauf und Verkauf mittelständischer Unternehmen", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-18-2
  • "Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-29-8
  • "Gesellschaftsrecht in der Insolvenz", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-26-7
  • "Die Limited in der Insolvenz", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-34-2
  • "Der Insolvenzplan – Sanierungsinstrument in der Insolvenz", 2007, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-03-8
  • "Die Regelinsolvenz - Insolvenz für Unternehmer und Unternehmen", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-07-6
  • "Gesellschafterinteressen in der Publikums-KG: Auskunftsrechte der Kommanditisten einer Publikums-KG gegen Treuhänder“, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-28-1
  • "Die Gesellschafterversammlung: Ein Leitfaden", Harald Brennecke und Dipl.-Jur. Marc Schieren, M. L. E., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-50-2
  • "Arztpraxis – Kauf und Übergang", Harald Brennecke und Michael Kaiser, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-54-0

Folgende Veröffentlichungen von Rechtsanwalt Brennecke sind in Vorbereitung:

  • Die Due Diligence – Rechtliche Prüfung beim Unternehmenskauf
  • Die Liquidation der Kapitalgesellschaft
  • Die Unternehmergesellschaft (UG)

Harald Brennecke ist Dozent für Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht im DeutscherAnwaltVerein.  
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:

  • Gesellschaftsrecht für Steuerberater und Unternehmensberater – Grundlagen des Gesellschaftsrechts
  • Gesellschaftsvertragsgestaltung – Grundlagen und Risiken
  • Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) – kleine Chance, großes Risiko
  • Welche Gesellschaftsform ist die Richtige? Vor- und Nachteile der Rechtsformen für Unternehmer
  • Geschäftsführerhaftung – Geschäftsführung von Kapitalgesellschaften; das letzte große Abenteuer der westlichen Zivilisation
  • Insolvenzrecht für Gründer und lebende Unternehmen: Aus Insolvenzen anderer lernen heißt das eigene Insolvenzrisiko zu vermeiden
  • Unternehmenssanierung: Kopf aus dem Sand! Wer zu spät reagiert, reagiert nie wieder.
  • Insolvenzrecht für Steuerberater – Grundlagen des Insolvenzrechts für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
  • Insolvenzrecht für Unternehmensberater – Sanierungschancen erkennen und wahren
  • Insolvenzberatung: das (enorme) Haftungsrisiko des Sanierungsberaters

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Telefon: 0721-20396-28

 


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