Das Widerrufsrecht – Teil 30 – Ausnahmetatbestände der Finanzierungsverträge, Ausnahmetatbestände bei Verträgen außerhalb des BGB

6.2 Ausnahmetatbestände der Finanzierungsverträge

Notariell beurkundete Darlehensverträge, bestimmte Überziehungskredite und besondere Umschuldungsformen sind nicht vom Anwendungsbereich des Widerrufsrechts erfasst (§ 495 Abs. 2 BGB).

Beispiel 1 (Umschuldung)
Der Darlehensnehmer droht in Gefahr zu kommen, sein Darlehen nicht mehr bedienen zu können. Eine Tilgung ist in absehbarer Zeit ausgeschlossen, da der Verbraucher aufgrund einer eintretenden Arbeitslosigkeit kein ausreichendes Einkommen mehr hat. Um den fälligen Restkredit zu bedienen, vereinbart der Darlehensnehmer mit der Bank, dass ein Großteil der Restsumme umgeschuldet wird. Der Darlehensvertrag wird um diese Vereinbarung ergänzt. Der Verbraucher nimmt ein neues Darlehen auf und bezahlt damit 90% des fälligen Darlehens. Für das neue Darlehen wird vereinbart, die Rückzahlung aufzuschieben, bis der Kreditnehmer wieder ein Einkommen hat.

  • Der Widerruf ist ausgeschlossen, da eine rasche Umschuldung gewährleistet werden soll. Gegebenenfalls anfallende Verzugszinsen sowie ein drohender Rechtsstreit werden so verhindert. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die Umschuldungssumme kleiner ist, als die Summe der zu tilgenden Restschuld. Der Verbraucher soll noch eine minimale Belastung zur Tilgung des Darlehens tragen.(Fußnote)

Beispiel 2 (notarielle Beurkundung)
Der Verbraucher benötigt für den Erwerb einer Immobilie ein Darlehen.

  • Die notarielle Form ist bei Darlehensverträgen grundsätzlich nicht vorgeschrieben. Der Darlehensvertrag ist schriftlich abzuschließen (§§ 492 Abs. 1, 126 BGB). Somit fällt der Darlehnsvertrag nicht unter die Ausnahmeregel für notariell beurkundete Verträge nach § 312g Abs. 2 Nr. 12 BGB. Anders wäre dies, wenn die Parteien vertraglich vereinbaren würden, dass der Darlehensvertrag notariell beurkundet werden soll. Das Widerrufsrecht würde dann entfallen, weil ein Notar durch die Beurkundung bestätigt kann, dass die Rechte des Verbrauchers gewahrt sind. Der Notar kann dem Verbraucher einen weit besseren Schutz gewährleisten, als es das Widerrufsrecht kann.

Beispiel 3 (Überziehungskredit)
Der Verbraucher hat die Möglichkeit, sein Girokonto zu einem Betrag von bis zu 1.000 € zu überziehen.

  • Tritt der Überziehungsfall ein, so macht es wenig Sinn die Überziehung wieder rückabzuwickeln, also die Überziehung zu widerrufen. Eine Rückabwicklung in Form des Ausgleichs des Kontos hat nach einer bestimmten Zeit auch aufgrund der regulären vertraglichen Vereinbarung zu erfolgen. Weist das Konto einmal eine negative Bilanz auf, so ist diese regelmäßig der Bank zu vergüten und auch wieder auszugleichen.


6.3 Ausnahmetatbestände bei Verträgen außerhalb des BGB

Die Ausnahmetatbestände bei Versicherungsverträgen sind im Versicherungsvertragsgesetz und Kapitalanlageverträgen im Kapitalanlagegesetzbuch geregelt. Ausnahmetatbestände bei Fernunterrichtsverträgen sieht das Fernunterrichtsschutzgesetz nicht vor.

6.3.1 Versicherungsverträge

Versicherungsverträge mit einer Laufzeit von weniger als einem Monat sind von der Widerrufbarkeit ausgeschlossen (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 VVG). Dies hat den Hintergrund, dass das Risiko des Versicherungsnehmers relativ überschaubar ist, da sich seine Verpflichtungen auf einen kurzen Zeitraum beschränken. Die wirtschaftlichen Risiken sind zu gering, als dass sich ein Widerruf rechtfertigen würde.

Gewährt der Versicherer dem Versicherungsnehmer einen vorläufigen Versicherungsschutz, der vor Abschluss des eigentlichen Versicherungsvertrages greift (vorläufige Deckung), so kann der Vertrag nicht widerrufen werden (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 VVG). Eine abweichende Ausnahme besteht, wenn der Vertrag über die vorläufige Deckung nicht im Fernabsatz (Internet/Telefon) geschlossen wurde. Ein im Fernabsatz geschlossener Vertrag über eine vorläufige Deckung ist gleichwohl vom Widerrufsrecht erfasst (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 VVG).

Sofern der Arbeitnehmer, der ebenso einen Verbraucher darstellt, mit seinem Arbeitgeber eine Vereinbarung über eine Pensionskasse (betriebliche Altersvorsorge) schließt, ist diese nicht widerrufbar (§ 8 Abs. 3 Nr. 3 VVG). Das Versicherungsvertragsgesetz sieht eine solche Regelung nur für Pensionskassen vor. Eine entsprechende Anwendung für andere Formen der betrieblichen Altersvorsorge ist nicht geregelt. Eine Vereinbarung über eine Pensionskasse bleibt dann widerrufbar, wenn sie im Fernabsatz geschlossen wurde§ 8 Abs. 3 Nr. 3 VVG. Das ist dann denkbar, wenn die Verhandlungen zwar unter den Anwesenden Vertragsparteien geführt werden, der Vertragsschluss ggf. später via Internet erfolgt.

Ebenso sind Verträge über Großrisiken vom Widerrufsrecht ausgeschlossen (§ 8 Abs. 3 Nr. 4 VVG). Das sind Versicherungsverträge, bei denen der Versicherungsnehmer mindestens zwei der folgenden Merkmale aufweist:

  • eine Bilanzsumme i.H.v. über 6,2 Mio. € (§ 210 Abs. 2 Nr. 3a VVG),
  • Nettoumsatzerlöse i.H.v. über 12,8 Mio. € (§ 210 Abs. 2 Nr. 3b VVG),
  • eine Beschäftigung von durchschnittlich 250 Arbeitnehmern pro Wirtschaftsjahr (360 Tage) (§ 210 Abs. 2 Nr. 3c VVG).

6.3.2 Kapitalanlageverträge

Kapitalanlageverträge sind von der Anwendbarkeit des Widerrufsrechts ausgeschlossen, sofern der Käufer der Kapitalanlage kein Verbraucher ist (§§ 305 Abs. 3 Nr. 1 KAGB, 13 BGB). Das Widerrufsrecht ist auch dann ausgeschlossen, wenn der Kapitalanlagevertrag deswegen zustande kommt, weil der Verbraucher den Unternehmer zum Zwecke der Vertragsverhandlungen zu sich bestellt hat (§ 305 Abs. 3 Nr. 2 KAGB).


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Das Widerrufsrecht“ von Harald Brennecke, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Pascal Schöning, Wirtschaftsjurist LL.B., mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-56-4.


 

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Stand: Januar 2016


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