Einführung ins Recht der AGB - Allgemeine Geschäftsbedingungen in der rechtlichen Praxis – Teil 39 – Unangemessenheit nach § 307 Abs. 1


Autor(-en):
Michael Kaiser
Rechtsanwalt

Sebastian Galle
wissenschaftlicher Mitarbeiter


4.5.4 Unangemessenheit nach Absatz 1

Für die allgemeine Bewertung der Unangemessenheit kommt es darauf an, dass die Interessen der Vertragsparteien gegeneinander abgewogen werden.
Hierzu werden alle Umstände berücksichtigt, die nötig sind, um eine Unangemessenheit festzustellen. Dazu gehören insbesondere der gesamte Vertragsinhalt, der objektive Klauselinhalt der fragwürdigen Klausel, die Maßgeblichkeit der Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise, das Preisargument, die Möglichkeit des besseren Versicherungsschutzes, die Risikobeherrschung, die Berücksichtigung von Drittinteressen und das Äquivalenzprinzip.


4.5.4.1 Gesamter Vertragsinhalt/Objektiver Klauselinhalt

Die aussagekräftigsten Argumente, eine Klausel für unangemessen zu halten, sind der Widerspruch zum gesamten Vertragsinhalt oder ihr eigentlicher objektiver Inhalt. Zwar erfolgt die Kontrolle nur anhand der einzelnen Klausel, jedoch dient der gesamte Vertrag als Wertungshintergrund. Zum Vertrag gehören der Vertragstext selbst, die wirksam einbezogenen AGB und alle getroffenen Individualvereinbarungen.
Es ist durchaus möglich, dass eine Klausel für sich stehend gültig wäre, im Zusammenspiel mit anderen Klauseln jedoch unwirksam wird.
Dies liegt vor allem dann vor, wenn in AGB Begriffe definiert werden, die dann später verwandt und zur Unangemessenheit führen. Zum Beispiel wenn die Abnahmefähigkeit definiert wird („Abnahmefähig ist das Werk, wenn es folgende Voraussetzungen erfüllt…“) und die dortigen Voraussetzungen besonders streng sind oder die Abnahmefähigkeit sich nur dann ergibt, wenn der Verwender das Werk für abnahmefähig hält. Selbst wenn diese Klausel an sich bereits nur schwerlich einer Inhaltskontrolle standhalten würde, wird sie auf jeden Fall unwirksam, wenn später in den AGB eine Vertragsstrafe zu zahlen ist, wenn das Werk nicht abnahmefähig ist.
Bei einem Zusammenspiel von mehreren Klauseln werden beide Klauseln unwirksam. Ergibt es sich aus dem Zusammenspiel einer AGB-Klausel und einer Vertragsklausel, so kann nur die AGB-Klausel nach § 307 BGB unwirksam werden.
Grundsätzlich kann sich eine Klausel dann als wirksam erweisen, wenn sie zwar nach § 307 BGB bedenklich (aber eben noch nicht unwirksam) ist, jedoch ein entsprechender Ausgleich für den Vertragspartner an anderer Stelle vorhanden ist. Wo und wie sich dieser Ausgleich darstellt und ob er wertmäßig ein Äquivalent für die Verminderung gesetzlicher Rechte in AGB darstellt, muss sich aus dem Vertragszusammenhang ergeben.
Eine Klausel kann bereits für sich unwirksam sein, wenn sie den Verwender gegen Treu und Glauben benachteiligt. Ist eine Klausel im Vertrag unwirksam, so muss sie auch als AGB unwirksam sein. Unwirksam sind Klauseln, die gegen das zwingende Recht verstoßen. Ist eine Klausel inhaltlich unwirksam, kann sie nicht dadurch gerettet werden, dass der Verwender diese nicht anwendet. Allein ihr Vorliegen rechtfertigt die Unwirksamkeit.


4.5.4.2 Anschauung des Verkehrskreises/Preisargument

Die Anschauung des Verkehrskreises wird vorrangig durch Richtlinien und Verhaltenskodizes der Branche bestimmt. So kann eine Klausel für sich unwirksam sein, jedoch nach diesen Kodizes Anwendung finden, sofern sie sich dort im inhaltlichen Rahmen bewegt. Natürlich muss sich der Vertragspartner dann zwingend innerhalb dieses Verkehrskreises bewegen und die Kodizes selbst dürfen nicht gegen geltendes Recht verstoßen. Gegenüber Vertretern anderer Rechtskreise gilt die Wirksamkeit der Klausel nicht, wenn sie für den anderen Rechtskreis unwirksam wäre. Vorrangig gilt dieser Wertungsmaßstab für den unternehmerischen Verkehr.Das Preisargument hat nur geringe Bedeutung und gilt fast ausschließlich im unternehmerischen Verkehr. Grundsätzlich können demnach grenzwertige Klauseln wirksam sein, wenn der Preis entsprechend niedrig ist. Jedoch muss dies deutlich erkennbar sein. Da der Preis grundlegend frei gestaltet werden kann, muss nicht automatisch bei einem niedrigen Preis auf eine verschlechterte Rechtsposition der Gegenpartei geschlossen werden. Zudem ist oftmals im Vertrag nicht erkennbar, welche Kostenelemente im Preis enthalten sind. Für Verbraucher kann das Preisargument gar nicht angeführt werden. Weiterhin wird es Richtern nicht zugemutet einen „gerechten“ Preis zu finden, sodass das Preisargument niemals automatisch zur Rechtfertigung einer unwirksamen Klausel führt, sondern lediglich einen Argumentationsteil darstellen kann. Auch im unternehmerischen Verkehr gilt deshalb, dass Klauseln, die den Vertragspartner zu stark benachteiligen, nicht mit einem Billigpreis gerechtfertigt werden können. Folglich kann das Preisargument nur angeführt werden, wenn die Klausel die Wirksamkeitsgrenze nur geringfügig überschreitet.


4.5.4.3 Argumentation über Lastenverteilung

Oftmals ergibt sich die Unangemessenheit nicht aus den Rechten und Pflichten der Vertragspartner in den Klauseln an sich, sondern daraus, welcher Vertragsseite sie auferlegt werden.
Folglich hängt die Unangemessenheit einer Klausel nicht selten davon ab, welche Seite das Risiko der Vertragspflichtverletzung zu tragen hat, in wessen Bereich es fällt, sie zu vermeiden und wer sich am wirtschaftlichsten dagegen versichern kann.
Wird in einem Liefergeschäft das Risiko, dass die Ware während des Transports untergeht, auf den Käufer übertragen, so ist es unangemessen, wenn der Verkäufer das Transportunternehmen aussucht. Ebenso, wenn der Spediteur vom Käufer verlangt, eine dazugehörige Transportversicherung abzuschließen, obwohl diese für ihn einfacher und wirtschaftlicher abzuschließen wäre (wenn er sie nicht schon von Berufswegen abgeschlossen haben muss).Bei dieser Beurteilung werden die Umstände des Vertragsschlusses mit herangezogen. Hatte der Vertragspartner die Wahl zwischen mehreren AGB, die die entsprechenden Risiken anders verteilen und dafür unterschiedliche Kaufpreise aufrufen (übernimmt der Käufer das Risiko wird das Produkt günstiger und umgekehrt), so können diese Klauseln wirksam sein. Da der Vertragspartner die Wahl hatte, kann er sich nun nicht auf die Unangemessenheit der Klauseln berufen, die er selbst gewählt hat. Jedoch darf die Risikoverteilung nicht stark überteuert in die Preisbildung einbezogen werden. Dies gilt zwar ebenso für Verbraucher, jedoch muss sich klar ergeben, also transparent gemacht werden, weshalb die Preisunterschiede auftreten.


4.5.4.4 Drittinteressen

Drittinteressen dürfen nur eine geringe Gewichtung besitzen, da sich die Unangemessenheit aus dem Vertrag zwischen den beiden Vertragsparteien ergeben soll, deren Schutzbedürfnis Vorrang besitzt. Die Interessen einer dritten Partei dürfen nur mittelbar beachtet werden, wenn beispielsweise durch ihr Hinzutreten das Interesse einer der Vertragsparteien betroffen ist.Drittinteressen spielen in der Praxis dann eine Rolle, wenn der Dritte privilegiert ist. Zum Beispiel wenn der Verkäufer selbst von einem Monopolisten kaufen muss oder selbst Monopolist ist. Dann schlagen die diesbezüglich geänderten AGB auf den Käufer durch. Wird beispielsweise der Kaufpreis von Fernwärme an den Erdölpreis gekoppelt und muss das Fernwärmeversorgungsunternehmen von diesem Erzeuger die Fernwärme abnehmen, so wird es wahrscheinlich die Benachteiligung der Preisbildung an seine Kunden weitergeben. Dieser Kunde, der oftmals nicht die Wahl hat von einem anderen Anbieter Fernwärme zu beziehen, wird dann zur beachtenswerten Drittpartei bei der Bewertung der AGB zwischen den Fernwärmeproduzenten und dem –versorger.


4.5.4.5 Äquivalenzprinzip

Das Äquivalenzprinzip besagt, dass Leistung und Gegenleistung eines Vertrags zueinander in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen. Schafft sich der Verwender durch seine AGB eine einseitige Preisanpassungsmöglichkeit, so wäre das Vertragsgleichgewicht grundlegend gestört, wenn der Vertragspartner darauf nicht reagieren könnte (beispielsweise durch Trennung vom Vertrag oder Zustimmungsrecht zur Preiserhöhung).
Dieses Prinzip spiegelt sich bereits in § 307 II Nr. 1 BGB wider, da das Gesetz als neutraler Interessenausgleich vom Einhalten des Äquivalenzprinzips ausgeht.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Einführung ins Recht der AGB - Allgemeine Geschäftsbedingungen in der rechtlichen Praxis“ von Michael Kaiser, auf AGB-Recht spezialisierter Rechtsanwalt, und Sebastian Galle, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2014, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-36-6.


 

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Autor(-en):
Michael Kaiser
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Sebastian Galle
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Kontakt: kaiser@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Dezember 2014


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Über die Autoren:

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Portrait Michael-Kaiser

Michael Kaiser entwirft, prüft und überarbeitet seit vielen Jahren Allgemeine Geschäftsbedingungen für mittelständische Unternehmen.
Er bearbeitet klassische AGB wie Fernabsatzvereinbarungen, Widerrufsbelehrungen, Einkaufsbedingungen, Bestellbedingungen, Lieferbedingungen oder Datenschutzvereinbarungen. Daneben prüft er die AGB-Rechts-Konformität von Verträgen, die zu mehrfacher Benutzung bestimmt sind und damit bereits AGB darstellen, wie z.B. Rahmenverträge, Kooperationsverträge, Mietverträge oder Kaufverträge.

Michael Kaiser hat im AGB-Recht veröffentlicht:

  • Einführung ins Recht der AGB – Allgemeine Geschäftsbedingungen in der rechtlichen Praxis, 2014, Michael Kaiser und Sebastian Galle, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-36-6

  • AGB-Recht – eine Einführung in das Recht der AGB; Anwendung und Fallen, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-36-6

Rechtsanwalt Michael Kaiser ist Dozent für AGB-Recht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

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  • AGB und ihre Anwendung – Mitarbeiterschulung; Fallen in der Praxis
  • Allgemeine Geschäftsbedingungen im Onlinehandel und Fernabsatz
  • Widerrufsbedingungen im Fernabsatz: Gestaltung und Anwendung
  • Haftungsbegrenzung in AGB: Gestaltungsmöglichkeiten und Grenzen

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