Die internationale Entsendung von Mitarbeitern – Teil 09 – Rechte und Pflichten der Vertragsparteien

4.3.4. Beteiligungsrechte des Betriebsrates bei einer Entsendung

Der Be­triebs­rat ist die von den Ar­beit­neh­mern ei­nes Be­triebs gewähl­te In­ter­es­sen­ver­tre­tung, die im Rah­men der ge­setz­lich, nämlich durch das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) ge­re­gel­ten Be­triebs­ver­fas­sung tätig wird.

Grundsätzlich ist das Betriebsverfassungsrecht auf alle Betriebe in Deutschland anwendbar. Vorliegend werfen sich die Fragen auf, ob das Betriebsverfassungsrecht des Inlandes auch auf Arbeitnehmer im entsandten Land anwendbar ist und daraus resultierend der Betriebsrat bei die Mitbestimmung betreffenden Entscheidungen beteiligt werden muss. Voraussetzung hierfür ist allerdings eine tatsächliche Beziehung zwischen dem Entsandten und dem Inlandsbetrieb. Diese ist zu bejahen, wenn eine zeitliche Begrenzung der Auslandstätigkeit vorliegt. Der Arbeitnehmer muss zudem dem Arbeitgeber gegenüber weisungsgebunden sein oder es existiert ein vertragliches Rückrufrecht. Die Auslandsmitarbeiter müssen demnach dem inländischen Betrieb zuzuordnen sein. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Absatz 1 BetrVG wird sich in aller Regel nicht auf Sachverhalte beziehen können, welche die Tätigkeit und das Verhalten im ausländischen Betrieb betreffen. Sind die im Ausland tätigen Mitarbeiter dort nicht in einem ausländischen Betrieb integriert, können Fragen der einzuhaltenden betrieblichen Ordnung oder zu beachtender Verhaltensregeln, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage usw. auch Gegenstand von Betriebsvereinbarungen sein.

Falls das Betriebsverfassungsrecht zur Anwendung kommt, stehen dem Arbeitnehmer die vollen Rechte zu, auch wenn er sich bei einer Auslandstätigkeit befindet. Beispielhaft wären das aktive und passive Wahlrecht bzw. die Teilnahmerechte an Betriebsversammlungen.

Unabhängig davon, ob den Arbeitnehmer im Rahmen der Entsendung eine andere Aufgabe zugewiesen wird, ist die Zustimmung des Betriebsrates für die Entsendung erforderlich, wenn die Entsendung länger als einen Monat andauert. In diesen Fällen liegt nämlich eine Versetzung i.S.d. §§ 99,95 Abs. 3 BetrVG vor [1]. Eine Entsendung, die höchstens einen Monat andauert, erfordert die Zustimmung des Betriebsrates nur, wenn eine erhebliche Änderung der Arbeitsumstände vorliegt.

Beispiel für die Beteiligung des Betriebsrates:

Das Reisebusunternehmen Müller-Reisen beschäftigt weltweit mehr als 600 Busfahrer in den verschiedensten Ländern. Die Busfahrer sind in ihrem jeweiligen Einsatzland nicht in einen dortigen Betrieb integriert. Das Unternehmen möchte nun seine Mitarbeiter weltweit anweisen, während der Arbeitszeit weder Zigaretten, noch Zigarillos oder Zigarren oder ähnliches zu rauchen. Die Anordnung erfolgt richtigerweise über eine mit dem Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG geschlossene Betriebsvereinbarung.

4.3.5. Arbeitnehmerfreizügigkeit gem. Art. 45 AEUV

Generell bedarf es für die Beschäftigung von Arbeitnehmern im Ausland einer Aufenthalts-bzw. Arbeitsgenehmigung (in Deutschland ist z. B. ein Aufenthaltstitel erforderlich). Innerhalb der EU ist die Entsendung von Arbeitnehmern aufgrund der in Artikel 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) geregelten Arbeitnehmerfreizügigkeit genehmigungsfrei.

Diese Vorschrift bestimmt, dass Arbeitnehmer das Recht haben:

a) sich um tatsächlich angebotene Stellen überall in der EU zu bewerben

b) sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen

c) sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort eine Beschäftigung auszuüben

d) nach Beendigung einer Beschäftigung unter bestimmten Bedingungen im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaates zu verbleiben.

HINWEIS:

Informationen über erforderliche Genehmigungen in anderen Staaten erhalten Sie bei den dort zuständigen Auslandshandelskammern, vgl. unter www.ahk.de

4.3.6. Arbeitgeberwechsel

Bei einem zeitlich nahtlos betrachteten Arbeitgeberwechsel in Deutschland fehlt es allerdings an dem Merkmal der „Entsendung aus dem Inland“. Das neue Arbeitsverhältnis wurde in dem Moment eingegangen, als sich der Mitarbeiter im Ausland befand. Die Entsendung ist daher mit ab dem Zeitpunkt des Arbeitgeberwechsels beendet.

Beispiel:

Arbeitnehmer Udo ist von seinem Unternehmen X nach Venezuela entsandt worden, um dort eine Hochstraße zu bauen. Während der Bauphase wechselt er zu dem – ebenfalls in Deutschland ansässigen – Unternehmen Y und arbeitet für diese weiter in Venezuela.

  • Bei der Anstellung im Unternehmen Y handelt es sich jedoch nicht mehr um eine Entsendung, da das Beschäftigungsverhältnis im Ausland eingegangen wurde.

4.3.7. Betriebsübergang

Unschädlich für die Entsendung ist ein sogenannter Betriebsübergang. Das bedeutet, dass das bestehende Unternehmen von einem neuen Unternehmen übernommen wird. Der nachfolgende Betriebsinhaber tritt gemäß § 613 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) in die sich aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen ergebenden Rechten und Pflichten ein [2]. Dadurch ändert sich am Charakter der Entsendung nichts.

Beispiel:

Arbeitnehmer Max ist von seinem Arbeitgeber Unternehmen X für zwei Jahre nach Indien entsandt worden. Während dieser Zeit wird das Unternehmen X vom Unternehmen Y übernommen.

  • Am Charakter der Entsendung von Max ändert sich nichts. Es handelt sich hierbei nicht um ein neues, sondern ein bestehendes, Beschäftigungsverhältnis.

4.4. Sozialversicherungsrecht

Bei einer Entsendung von Mitarbeitern ins Ausland stellt sich unter anderem die Frage, wie der Entsandte sozial abgesichert wird.

Zunächst gilt in Deutschland für alle Arbeitnehmer das sogenannte Territorialitätsprinzip. Das bedeutet, dass Arbeitnehmer, die in Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort haben und hier arbeiten, auch im Inland sozialversicherungspflichtig sind. Für den entsandten Mitarbeiter ist zumeist von elementarer Bedeutung, dass er seinen sozialversicherungsrechtlichen Besitzstand in Deutschland für die Zeit des Auslandseinsatzes und danach nicht verliert. Auch für den Arbeitgeber sind sozialversicherungsrechtliche Gesichtspunkte im Rahmen der Auslandsentsendung entscheidend.

Für den Arbeitgeber nur manches Mal schwer nachvollziehbar, muss bei der Entsendung aufgrund verschiedener Sozialrechtsordnungen das anwendbare Sozialrecht ermittelt werden.

a) Zunächst ist zu überprüfen, ob das Recht der europäischen Union, genauer die Verordnungen (EG) 883/04 und 987/09 anwendbar ist [3].

  • Falls ja, so ergibt sich daraus, welches nationale Sozialversicherungsrecht anwendbar ist.

b) Wenn nein, gilt es im nächsten Schritt ein anwendbares zwischenstaatliches Abkommen zu ermitteln, aus dem sich die Anwendbarkeit der Sozialrechtsordnung eines Abkommenstaates ergibt.

c) Existiert kein anwendbares Abkommen so ist schließlich die in § 4 SGB IV enthaltene Regelung zur Ausstrahlung des deutschen Sozialrechts maßgeblich.

4.4.1. Europäisches Sozialrecht

Für manche nicht ganz geläufig, dennoch bei einer Entsendung zu beachten ist das sogenannte Europäische Sozialrecht. Verwirrenderweise gibt es kein eigenständiges Europäisches Sozialrecht, Mit Europäischem Sozialrecht sind die Vorschriften über die Koordinierung der betroffenen nationalen Rechtsordnungen gemeint. Dieses Recht umfasst die von den Mitgliedstaaten geschaffenen Vorschriften über die Zweige der sozialen Sicherheit. Das sind zum Beispiel Leistungen bei Krankheit, Invalidität, Tod, Arbeitsunfälle, Arbeitslosigkeit, Familienleistungen. Die meisten bindenden Vorschriften über die Entsendung von Arbeitnehmern betreffen die Mindest- bzw. Höchstgrenzen für Arbeits- und Pausenzeiten, bezahlten Urlaub, Entlohnung, Gleichbehandlung von Frauen und Männern sowie die Bedingungen für das Ausleihen von Arbeitnehmern, insbesondere die Bereitstellung von Arbeitnehmern über Zeitarbeitsfirmen.

4.4.2. Sozialversicherungsabkommen – Entsendung außerhalb der EU

Die Bundesrepublik Deutschland hat außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums mit verschiedenen Staaten Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen. In diesen Abkommen ist unter anderem die Entsendung eines Arbeitnehmers in das jeweilige Staatsgebiet festgelegt. Zu beachten ist jedoch, dass unter Umständen nicht alle Sozialversicherungszweige damit abgegolten sind. Tritt dieser Fall ein, gelten die Bestimmungen zur Ausstrahlung (die Ausführungen dazu folgen sogleich)


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die internationale Entsendung von Mitarbeitern“ von Tilo Schindele, auf Arbeitsrecht spezialisierter Rechtsanwalt, und Babett Stoye, LL.B., mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1.


 

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Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2016


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