Vorrang der Abführung von Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 266a StGB gegenüber der Massesicherheit gemäß § 64 II GmbHG in der Phase der Insolvenzreife

Sozialversicherungsbeiträge im Sinn des § 266a StGB sind in einer Phase der Insolvenzreife eines Unternehmens vorrangig zu erfüllende Verbindlichkeiten. Die Pflicht zur vorrangigen Erfüllung dieser Verbindlichkeiten ergibt sich dabei aus ihrer Strafbewehrung. Diese resultiert aus der besonderen Bedeutung dieser Zahlungspflichten innerhalb des Sozialsystems. Erfüllt der Verantwortliche andere Verbindlichkeiten und werden dadurch die Mittel für die Bezahlung der Arbeitnehmerbeiträge aufgebraucht, stellt dies keinen Rechtfertigungsgrund hinsichtlich einer Strafbarkeit nach § 266a StGB dar. Anders ist der Schutzzweck des § 266a StGB in einer möglichen Krisensituation eines Unternehmens effektiv nicht zu wahren.

Die Wertungsmaßstäbe des Insolvenzrechts sind hier nicht zugrunde zu legen, da dieses nur für das Insolvenzverfahren selbst gilt. Die Beurteilung eines Geschehens, welches sich ggf. vor der späteren Einleitung eines Insolvenzverfahrens ereignet hat, erfolgt bei dieser Fragestellung allein anhand der Tatbestandsmerkmale des § 266a StGB. Dies gilt insbesondere bei Krisensituationen im Vorfeld einer Insolvenzreife, da zu diesem Zeitpunkt oft noch gar nicht abschließend beurteilt werden kann, ob es zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens kommen wird.

Der Zweck des § 266a StGB, der die Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge unter Strafe stellt, liegt darin, in einer sich entwickelnden Krisensituation des Unternehmens sicherzustellen, das der Arbeitgeber weiterhin die Ansprüche der Sozialversicherungträger erfüllt und Sozialversicherungsbeiträge weiterhin abführt. Hieran hat er nämlich kein Eigeninteresse, da für ihn hieraus kein Eigennutzen resultiert. Dieser Zweck kann jedoch nicht erreicht werden, wenn man unter Berücksichtigung etwaiger späterer Anfechtungsmöglichkeiten in einem Insolvenzverfahren, das tatsächlich vielleicht gar nicht zur Eröffnung gelangt, die Pflicht zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge aussetzt. Der Grundsatz der Massesicherheit, § 64 II GmbHG hebt die durch § 266a StGB unter Strafe gestellte Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge auch nicht zeitlich unbegrenzt auf. Bei Eintritt der Insolvenzreife eines Unternehmens formuliert § 64 I GmbHG die Pflicht des Verantwortlichen, spätestens innerhalb von drei Wochen Insolvenzantrag zu stellen. Nur innerhalb dieses Zeitraums unterliegt der Arbeitgeber nicht der Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge, ist diese suspendiert. Verstreicht diese Frist trotz andauernder Insolvenzreife des Unternehmens, entfällt hinsichtlich des Tatbestands des § 266a I StGB der Rechtfertigungsgrund. Diese Rechtfertigung ergibt sich aus der Pflicht zur Prüfung möglicher Sanierungsmaßnahmen für das Unternehmen innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 64 I GmbHG. Danach sind aus den noch vorhandenen Mitteln vorrangig die Sozialversicherungsbeiträge des § 266a StGB zu entrichten. Ergibt die Prüfung der Verhältnisse des Unternehmens bei vorliegender Insolvenzreife, dass keine Sanierungsmöglichkeiten mehr bestehen und wird trotzdem keine Insolvenzantrag gestellt, sondern das Unternehmen weitergeführt, ist die Berufung auf den Grundsatz der Massesicherheit, § 64 II GmbHG, im Rahmen der strafrechtlichen Beurteilung des Geschehens ausgeschlossen. Dieser Konflikt hätte durch die Stellung des gebotenen Insolvenzantrags gemäß § 64 I GmbHG vermieden werden können.

Fazit:

Führt also der Geschäftsführer ein Unternehmen unter Missachtung der Insolvenzantragspflicht fort, sind für die noch beschäftigten Arbeitnehmer vorrangig die Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 266a I StGB abzuführen. Wird dies nicht gemacht, ist eine Strafbarkeit nach § 266a I StGB zu bejahen.


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Stand: Februar 2006


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Normen: § 266a StGB, § 64 I, II GmbHG

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