Europäisches Erbrecht – Teil 07 – Nachlassspaltungen

6.2.2 Vermeidung von Nachlassspaltungen

6.2.2.1 Allgemeines

In der EuErbVO gilt der Grundsatz der Nachlasseinheit. Dies bedeutet, dass der gesamte Nachlass als eine Einheit, also als ein großes Ganzes gesehen wird. Im Erbfall mit Auslandsbezug könnte man auf die Idee kommen, unterschiedliche Rechtsordnungen auf Teile des Nachlasses anzuwenden. Beispielsweise könnte das Recht des Staates angewendet werden, in dem der Nachlass sich befindet. Das würde bedeuten, dass auf ein Ferienhaus in Frankreich französisches Recht angewendet würde, auf das Konto in Deutschland deutsches Recht und falls er momentan arbeitsbedingt in Schweden lebt, schwedisches Recht auf seine dort zurückgebliebenen Gegenstände. Jede Rechtsordnung verteilt den Nachlass aber nach eigenen Regeln, so dass die überlebende Ehefrau möglicherweise von dem einen Teil des Nachlasses die Hälfte erhalten würde, von einem anderen Teil nur ein Drittel etc., was zu vielen Unklarheiten und großer Rechtsunsicherheit führen würde. Deshalb wird seit Erlass der EuErbVO für den gesamten Nachlass ein anzuwendendes materielles Erbrecht gefunden, das dann konsequent auf alle Teile des Nachlasses angewendet wird, unabhängig davon wo sie sich befinden. Anders ist dies beispielsweise in Großbritannien, den USA oder Kanada, wo auf bewegliches Vermögen das Recht des Staates angewendet wird, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Wohnsitz hatte, auf unbewegliches Vermögen (Immobilien) aber das Recht des Staates, in dem die Immobilie sich befindet. Es kann in diesen Staaten also zur Nachlassspaltung kommen.

Beispiel:

Die vermögende Frau Hesse ist deutsche Staatsangehörige und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Berlin, wo sie schon aufgewachsen ist und später ihre Kinder großgezogen hat. Da diese sie nicht so häufig besuchen wie von ihr gewünscht und sie auch die Enkel fast nie zu Gesicht bekommt, hat sie ihnen nun angedroht, sie zu enterben. Die Kinder halten dies zwar lange nur für eine leere Drohung, tatsächlich ist sich Frau Hesse aber sicher in ihrem Entschluss. Sie setzt deshalb ein Testament auf, in dem nicht wie ursprünglich von ihr geplant ihre Kinder und Enkel das Vermögen erben sollen, sondern ihr treuer Gärtner. Es ärgert sie aber, dass ihre Kinder trotzdem den gesetzlichen Pflichtteil erhalten werden. Da sie diesen eigentlich nur eine Lehre erteilen will und sie zu häufigeren Besuchen bewegen möchte, hält sie es für wirksamer, wenn der gesamte oder wenigstens der Großteil des Nachlasses an den Gärtner geht. Um also den Pflichtteil zu minimieren, investiert sie einem Großteil des Vermögens in eine Immobilie in Cornwall in Großbritannien, wo das Pflichtteilsrecht nicht anerkannt ist. Sie hofft nun, dass die Immobilie nach britischem Recht vererbt wird, so dass der Pflichtteil entfallen würde.

    • Rechtslage vor Einführung der EuErbVO: das britische Erbrecht kennt keinen Pflichtteil. Vor Einführung der Verordnung hätte man nach deutschen kollisionsrechtlichen Normen gesucht und wäre auf Art. 3a Abs. 2 EGBGB gestoßen, der mittlerweile aufgehoben ist, da er mit Einführung der EuErbVO überflüssig geworden ist. Bei Anwendung von Art. 3a Abs. 2 EGBGB jedenfalls ergibt sich, dass bei einer Immobilie, die Regeln des Staates, in dem sich diese befindet, hier also Großbritannien zum Pflichtteilsrecht anzuwenden sind. Da es aber im britischen Erbrecht keinen Pflichtteil gibt, würden die Erben der Frau X bezüglich des sich in Deutschland befindenden Nachlasses den Pflichtteil erhalten, bezüglich der Immobilie in Großbritannien aber nicht, es würde also eine Spaltung des Nachlasses entstehen und Frau X hätte ein „Schlupfloch“, um dem deutschen Pflichtteilsrecht wenigstens teilweise zu entgehen.
    • Rechtslage nach Einführung der EuErbVO: Um dies zu vermeiden, gilt in der EuErbVO das Prinzip der Nachlasseinheit. Auf den gesamten Nachlass ist das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes der X, also deutsches Recht, anzuwenden. Da sie auch keine britische Staatsbürgerschaft besitzt, kommt eine Rechtswahl zugunsten britischen Rechts nicht in Betracht. Nach deutschem Recht steht den Erben der X der Pflichtteil am Gesamtnachlass als Einheit zu, also auch an der Immobilie in Großbritannien. Seit Einführung der Verordnung ist das Pflichtteilsrecht also nicht mehr so leicht zu umgehen. Die Erben der X werden deshalb ihren Pflichtteil zwar von einem deutschen Gericht zugesprochen bekommen, schwierig ist aber die Vollstreckung in Großbritannien. Wahrscheinlich wird deshalb das deutsche Gericht die Vollstreckung in in Deutschland gelegenes Vermögen zulassen.

Praxistipp:

Seit Einführung der EuErbVO gibt es auf internationaler Ebene keine Möglichkeit mehr, den Pflichtteil zu umgehen. Es kann aber auf die Möglichkeiten des innerdeutschen Rechts zurückgegriffen werden. Beispielsweise könnte eine vorherige Schenkung im Rahmen des § 2325 BGB hier eine Möglichkeit bieten.


Dieser Beitrag ist zitiert aus dem Buch „Einführung ins europäische Erbrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-96696-015-1.


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Schindele begleitet IT-Projekte von der Vertragsgestaltung und Lastenheftdefinition über die Umsetzung bis hin zur Abnahme oder Gewährleistungs- und Rückabwicklungsfragen.

Tilo Schindele ist Dozent für IT-Recht und Datenschutz bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

Er bietet Seminare und Vorträge unter anderem zu folgenden Themen an:

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